News 01/2024



Inhaltsverzeichnis der Ausgabe 01-2024:

Arbeitsrecht

Baurecht

Familien- und Erbrecht

Mietrecht und WEG

Verbraucherrecht

Verkehrsrecht

Abschließende Hinweise

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Arbeitsrecht

Berufsverbot: Kein Anspruch auf Vergütung bei ruhender Approbation eines Arztes

| Das Arbeitsgericht (ArbG) Berlin hat entschieden: Ein Arzt hat während des behördlich angeordneten Ruhens seiner Approbation keinen Anspruch auf Vergütung und ist zur Rückzahlung bereits geleisteter Vergütung verpflichtet. |

Arzt durfte nicht praktizieren, tat es aber doch

Ein Arzt war seit 2016 befristet bis Ende Juni 2022 in einem großen Berliner Krankenhaus angestellt. Im März 2018 ordnete das Landesamt für Arbeitsschutz, Verbraucherschutz und Gesundheit des Landes Brandenburg das Ruhen der Approbation des Arztes wegen Zweifeln an seiner gesundheitlichen Eignung an und forderte diesen zur Rückgabe seiner Approbationsurkunde auf. Der Bescheid über das Ruhen seiner Approbation ging ihm an seiner bei der Ärztekammer hinterlegten Wohnanschrift zu und wurde bestandskräftig. Dies hatte zur Folge, dass der Arzt den ärztlichen Beruf bis zur Aufhebung der Ruhensanordnung nicht ausüben durfte. Dennoch war er in der Folgezeit ohne die erforderliche Berechtigung, als Arzt tätig zu werden, an 1.053 Operationen beteiligt, davon an 444 als erster Operateur.

Krankenhaus zahlte dem Arzt keine Vergütung

Nachdem der Arzt, der zwischenzeitlich verzogen war, die Approbationsurkunde nicht zurücksandte, stellte die zuständige Behörde Nachforschungen bezüglich seiner Wohnanschrift an. Ende Februar 2022 erreichte den Arzt, der behauptet, bis zu diesem Zeitpunkt keine Kenntnis von der Ruhensanordnung gehabt zu haben, ein behördliches Schreiben mit der Aufforderung zur Rücksendung der Approbationsurkunde. Er informierte das beklagte Krankenhaus über das Ruhen seiner Approbation Ende März 2022. Das beklagte Krankenhaus zahlte ihm für den Monat März 2022 daraufhin keine Vergütung.

So entschied das Arbeitsgericht

Das ArbG hat die Zahlungsklage des Arztes abgewiesen und der von dem beklagten Krankenhaus erhobenen Widerklage auf Rückzahlung der in den letzten sechs Monaten gezahlten Nettovergütungen stattgegeben. Zur Begründung hat das ArbG im Wesentlichen ausgeführt, dass der Arzt die von ihm geschuldete Arbeitsleistung nicht erbracht habe und diese aufgrund des Ruhens der Approbation trotz seiner physischen Leistungsfähigkeit und seiner erworbenen fachlichen Qualifikation nicht erbringen habe können.

Ferner ging das ArbG davon aus, das beklagte Krankenhaus habe die Zahlungen in der Vergangenheit ohne rechtlichen Grund geleistet und sei daher zur Rückforderung berechtigt. Eine Verrechnung mit den in dieser Zeit tatsächlich erbrachten Leistungen des Arztes erfolge nicht, da diese nicht mit einem positiven Wert zu bemessen seien. Dem beklagten Krankenhaus verbleibe im Hinblick auf potenzielle Regressforderungen kein zu berücksichtigender Vorteil durch das Tätigwerden des Arztes.

Arzt stellte sich ahnungslos

Dass dieser keine Kenntnis von der Ruhensanordnung gehabt haben will, hielt das ArbG für unbeachtlich. Denn die Unkenntnis sei auf ein pflichtwidriges Verhalten des Arztes zurückzuführen.

Gegen diese Entscheidung ist für den Arzt das Rechtsmittel der Berufung zum Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg gegeben.

Quelle | ArbG Berlin, Urteil vom 28.6.2023, 14 Ca 3796/22 und 14 Ca 11727/22, PM 24/23

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Gleichbehandlung: Anspruch auf Übernahme in beamtenähnliches Verhältnis

| Das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln hat das Erzbistum Köln verurteilt, eine Frau rückwirkend zum 1.1.2021 in ein beamtenähnliches Verhältnis zu übernehmen und den Differenzbetrag zu ihrer bisherigen Vergütung nachzuzahlen. Der Frau stand dieser Anspruch zu. Das Erzbistum scheiterte mit seiner Ansicht, eine solche Übernahme stünde ich seinem freien Ermessen. |

Das war passiert

Die Frau ist seit dem Jahr 2002 bei dem beklagten Erzbistum beschäftigt, zuletzt als Mitarbeiterin in leitender Stellung. Nach der damals geltenden „Ordnung für Leitende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Generalvikariats und der angeschlossenen Dienststellen sowie des Offizialrates und des Katholisch Sozialen Instituts“ konnten leitende Mitarbeiter bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen in ein Dienstverhältnis übernommen werden, auf das die Bestimmungen des Beamtenrechts des Landes NRW entsprechend angewandt werden (sog. beamtenähnliches Verhältnis). Die Frau stellte auf dieser Grundlage Ende 2019 einen Übernahme-Antrag.

Nachdem das Erzbistum keine Entscheidung hierüber traf, erhob sie Klage vor dem Arbeitsgericht (ArbG) Köln und verlangte die Übernahme in ein beamtenähnliches Verhältnis rückwirkend ab Januar 2021. Sie war der Ansicht, dass ihr die Übernahme aus Gleichbehandlungsgesichtspunkten nicht verwehrt werden könne. Die Übernahme von leitenden Mitarbeitern in ein beamtenähnliches Verhältnis sei beim Erzbistum jahrelang gelebte Praxis und eine reine Formsache gewesen. Das Erzbistum hat demgegenüber die Auffassung vertreten, dass die Entscheidung über die Übernahme in ein beamtenähnliches Verhältnis im freien Ermessen des Generalvikars stehe.

So sah es das Landesarbeitsgericht

Das ArbG hat die Klage abgewiesen. Das LAG hat nun auf die Berufung der Klägerin zu ihren Gunsten entschieden und der Klage im Wesentlichen stattgegeben. Nach seiner Auffassung hat die Klägerin nach dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz Anspruch auf Übernahme in ein beamtenähnliches Verhältnis. Dieser Grundsatz gelte auch für das Erzbistum.

Zwar könnten die Kirchen aufgrund ihres verfassungsrechtlich garantierten Selbstordnungs- und Selbstverwaltungsrechts ein eigenständiges Arbeitsrecht erlassen. Bedienten sich die Kirchen allerdings der Privatautonomie zur Begründung von Arbeitsverhältnissen, sei auf sie das staatliche Arbeitsrecht mithin auch der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz anwendbar. Das LAG hat die Revision nicht zugelassen.

Quelle | LAG Köln, Urteil vom 8.8.2023, 4 Sa 371/23, PM 10/23

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Unfallkasse: Angriff auf dem Weg zum Blutzuckermessgerät: Pflegeperson ist nicht unfallversichert

| Das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg hat sich aktuell mit der Frage befasst, ob eine (nicht erwerbsmäßig tätige) Pflegeperson unfallversichert ist, wenn sie beim Holen eines Blutzuckermessgeräts für den Pflegebedürftigen Opfer eines Angriffs wird. Im konkreten Fall hat das LSG dies verneint. |

Überfall im Hausflur

Der seinerzeit 28-jährige Kläger lebte zusammen mit seinem Lebensgefährten in einer gemeinsamen Wohnung in einem Mehrfamilienhaus. Der Lebensgefährte war pflegebedürftig (Pflegegrad 3), unter anderem aufgrund eines insulinpflichtigen Diabetes mellitus. Der Kläger pflegte ihn.

Am 28.5.2018 verließ der Kläger gegen 1:15 Uhr die Wohnung. Im Hausflur wurde er nach einer kurzen verbalen Auseinandersetzung von zwei Jugendlichen angegriffen. Hierbei erlitt er eine Fraktur des Jochbeins und des Oberkiefers sowie ein Schädelhirntrauma. Die Jugendlichen stammten aus einer betreuten Wohngemeinschaft, die sich im selben Haus befand. Sie wurden vom Amtsgericht (AG) Tiergarten der gefährlichen Körperverletzung bzw. der Körperverletzung schuldig gesprochen.

Der Kläger wandte sich nach dem Vorfall an die Unfallkasse Berlin (Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung). Er gab an, er habe sich zum Zeitpunkt des Angriffs auf dem Weg zum Auto befunden, um dort das Blutzuckermessgerät für seinen Lebensgefährten zu holen. Die Unfallkasse Berlin lehnte es ab, das o. g. Ereignis als Arbeitsunfall anzuerkennen. Die hiergegen gerichtete Klage vor dem Sozialgericht (SG) Berlin blieb ohne Erfolg.

Angriff war kein Arbeitsunfall

Auf die daraufhin vom Kläger eingelegte Berufung hat das LSG die Entscheidung des SG bestätigt. Es hat ausgeführt, dass das o. g. Ereignis keinen Arbeitsunfall darstelle. Der Kläger gehöre als nicht erwerbsmäßig tätige Pflegeperson zwar zum Kreis derjenigen Personen, die kraft Gesetzes unfallversichert seien. Auch sei der Gang des Klägers aus der Wohnung zum Auto als „Betriebsweg“ der pflegerischen Tätigkeit zuzurechnen. Die Angabe des Klägers, er habe die Wohnung verlassen, um das Blutzuckermessgerät für seinen Lebensgefährten zu holen, könne insoweit als wahr unterstellt werden. Gleichwohl sei die gesetzliche Unfallversicherung im vorliegenden Fall nicht einstandspflichtig, da sich mit dem Angriff auf den Kläger kein Risiko verwirklicht habe, gegen dessen Eintritt der hier einschlägige Unfallversicherungstatbestand schützen solle.

Insoweit sei zu beachten, dass nicht jeder körperliche Angriff auf einem Betriebsweg unter den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung falle. Vielmehr sei der Versicherungsschutz ausgeschlossen, wenn der Angreifer aus persönlicher Feindschaft oder aufgrund von ähnlichen, aus privaten Beziehungen stammenden Beweggründen handle.

Persönliche Konflikte waren ursächlich für den Angriff

So liege der Fall hier. Aus den polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten ergebe sich, dass der Kläger seine Wohnung am 28.5.2018 (auch) verlassen habe, um die Jugendlichen zur Rede zu stellen, nachdem ihm deren „merkwürdiges Verhalten am Fahrstuhl“ aufgefallen sei. Bereits zuvor sei es zu erheblichen Konflikten zwischen dem Kläger bzw. seinem Lebensgefährten und den in der Wohngemeinschaft betreuten Jugendlichen gekommen. Am 28.5.2018 sei Gegenstand des Streits eine Verschmutzung des Fahrstuhls mit weißer Farbe gewesen, für deren Verursachung die Jugendlichen den Kläger verantwortlich machen wollten. Der Kläger sei nicht Opfer der Körperverletzung geworden, weil er sich gerade auf dem Weg zum Auto (und damit zum Blutzuckermessgerät) befunden habe. Vielmehr sei wesentliche Ursache des Angriffs der bestehende persönliche Konflikt gewesen.

Quelle | LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 9.11.2023, L 21 U 85/21, PM vom 15.11.2023

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Baurecht

Gebührenbescheid: Kein Wasseranschlussbeitrag für Photovoltaik-Freiflächenanlage

| Die Eigentümer eines Grundstücks, auf dem eine Photovoltaik-Freiflächenanlage errichtet worden ist, sind nicht verpflichtet, für die Möglichkeit, das Grundstück an die öffentliche Wasserversorgung anzuschließen, einen Anschlussbeitrag nach dem Kommunalabgabengesetz NRW zu zahlen. Dies hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster jetzt entschieden. |

Das meinten die Grundstückseigentümer

Die Eigentümer sind von einem Wasserversorgungsverband zu einem Anschlussbeitrag in Höhe von rund 46.000 Euro für eine vor ihrem Grundstück verlaufende Frischwasserleitung herangezogen worden. Nach dem Bebauungsplan darf auf dem Grundstück nur eine Photovoltaik-Freiflächenanlage errichtet werden. Die Eigentümer hielten den Heranziehungsbescheid für rechtswidrig. Insbesondere machten sie geltend, die Möglichkeit, das Grundstück an die öffentliche Wasserversorgung anzuschließen, vermittle ihnen keinen wirtschaftlichen Vorteil, wie er für die Beitragserhebung erforderlich sei. Für eine Photovoltaik-Freiflächenanlage bestehe kein Bedarf an einer (leitungsgebundenen) Wasserversorgung.

So sah es der Wasserversorgungsverband

Der Wasserversorgungsverband vertrat demgegenüber die Ansicht, jedenfalls für die von Zeit zu Zeit erforderliche Reinigung der Solarpanels sowie unter Brandschutzgesichtspunkten sei eine Wasserversorgung nützlich bzw. notwendig.

So entschieden die Gerichte

Das Verwaltungsgericht (VG) Münster hatte auf die Klage der Eigentümer den Beitragsbescheid aufgehoben. Die dagegen gerichtete Berufung des Wasserversorgungsverbands hatte nun beim OVG keinen Erfolg.

Das OVG sagt: Ein Wasseranschluss ist für die Grundstücksnutzung mit einer Photovoltaik-Freiflächenanlage regelmäßig nicht mit einem wirtschaftlichen Vorteil verbunden. Ein wirtschaftlicher Vorteil liegt vor, wenn die Wasserversorgung die bauliche Nutzung des Grundstücks erst ermöglicht oder sie zumindest verbessert. Bei einer allein zulässigen Bebauung mit einer Photovoltaik-Freiflächenanlage ist dies typischerweise nicht der Fall. Die Bereitstellung von Löschwasser ist in der Regel so auch hier nicht Aufgabe des Grundstückseigentümers.

Wasser für die Reinigung der Solarpanels ist auch anderweitig beschaffbar

Durch die Reinigung, die typischerweise in einem zeitlichen Abstand zwischen einem und mehreren Jahren sinnvoll ist, wird die Effektivität der Anlage gewährleistet und ihre Lebensdauer günstig beeinflusst. Dies ist hier aber ausnahmsweise kein beitragsrelevanter Vorteil, weil der Eigentümer der Anlage den seltenen Bedarf an Reinigungswasser durch gleichwertige private Vorkehrungen decken kann, die für ihn ökonomisch sinnvoller sind.

An eine Gleichwertigkeit von Wasserversorgungs- und -entsorgungsalternativen gegenüber entsprechenden Leistungen öffentlich-rechtlicher Einrichtungen sind zwar sehr strenge Anforderungen zu stellen. Jedoch stehen einer Reinigung der Solarpanels durch Unternehmen, die das hierfür erforderliche Wasser etwa im Tank heranschaffen, weder öffentliche noch private Belange entgegen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass ein Reinigungsbedarf für Photovoltaik-Freiflächenanlagen nur sehr selten besteht und typischerweise langfristig planbar ist, sodass eine ständig verfügbare Wasserleitung keinen erkennbaren Vorteil bietet. Der öffentlich-rechtliche Versorgungsträger hat zwar grundsätzlich die Möglichkeit, satzungsrechtlich einen Anschluss- und Benutzungszwang für sein Leitungsnetz anzuordnen, was die Berufung auf die alternative Gebrauchsmöglichkeit ausschließen würde. Vorliegend sieht die Satzung des beklagten Wasserversorgungsverbands eine Anschluss- und Benutzungspflicht jedoch nur für Grundstücke vor, auf denen regelmäßig Wasser verbraucht wird. Gerade das ist aufgrund des zu erwartenden größeren zeitlichen Abstands zwischen den einzelnen Reinigungen einer Photovoltaik-Freiflächenanlage nicht der Fall.

Das OVG hat die Revision gegen das Urteil nicht zugelassen. Hiergegen kann der Beklagte Beschwerde einlegen.

Quelle | OVG Münster, Urteil vom 29.8.2023, 15 A 3204/20, PM vom 29.8.2023

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Wohnraum: Zweckentfremdungsverbot kann auch für Bauruine gelten

| Das Verwaltungsgericht (VG) Berlin hat entschieden: Ein ursprünglich zu Wohnzwecken errichtetes Gebäude kann allein durch bewussten jahrelangen Leerstand und dadurch bedingten baulichen Verfall nicht der Geltung des Zweckentfremdungsverbots entzogen werden. |

Eine Bauentwicklungsgesellschaft kaufte im Jahr 1998 ein Mehrfamilienhaus in Berlin-Mitte, um ein Investitionsvorhaben mit dem Ziel der Sanierung und Wiederherstellung von 23 Wohnungen durchzuführen. Das Haus stand spätestens seit 1998 leer. Von einer beantragten und erteilten Baugenehmigung zur Instandsetzung und Modernisierung des Gebäudes machte sie keinen Gebrauch. Vielmehr teilte sie dem Bezirksamt 2015 mit, dass das Wohngebäude zur dauernden Wohnnutzung nicht mehr geeignet sei, weil es weder über eine Heizung noch über Bäder und Toiletten verfüge und die Böden einsturzgefährdet seien. Im Jahr 2019 beantragte die Bauentwicklungsgesellschaft einen sog. Negativattest mit dem Inhalt, dass es sich bei den Räumlichkeiten nicht um schützenswerten Wohnraum handle, der dem Zweckentfremdungsverbot unterfalle, und kündigte an, das Gebäude beseitigen zu wollen. Das Bezirksamt lehnte die Erteilung des Negativattests ab.

Die dagegen gerichtete Klage hat das VG abgewiesen. Das betroffene Gebäude stelle zweckentfremdungsrechtlich geschützten Wohnraum dar, weil es weiterhin zur dauernden Wohnnutzung geeignet sei. Zwar sei das Gebäude in seinem derzeitigen stark sanierungsbedürftigen und baufälligen Zustand aktuell nicht bewohnbar. Zu Wohnzwecken errichtete Gebäude unterfielen aber auch dann dem Zweckentfremdungsverbot, wenn sie sich noch mit objektiv zumutbarem Aufwand in einen bewohnbaren Zustand versetzen ließen. Davon sei hier auszugehen, weil die Bauentwicklungsgesellschaft nicht nachgewiesen habe, dass ihr eine Wiederherstellung der Bewohnbarkeit unzumutbar sei. Dies sei nur der Fall, wenn die ansetzbaren Wiederherstellungskosten höher seien als die in zehn Jahren erzielbare Rendite. Von den tatsächlichen Wiederherstellungskosten seien dabei solche nicht berücksichtigungsfähig, die auf in der Vergangenheit unterlassene Instandsetzungs- und Unterhaltungsmaßnahmen zurückzuführen seien.

Denn andernfalls wäre es möglich, durch gezielten Leerstand Wohnraum zu vernichten und das Zweckentfremdungsverbot zu umgehen. Wenn wie hier Räumlichkeiten über einen erheblichen Zeitraum leer gestanden hätten, ohne dass Maßnahmen zur Instandhaltung ergriffen worden seien, sei zu vermuten, dass Kosten für eine Wiederherstellung der Bewohnbarkeit vermeidbar gewesen wären und deshalb nicht zu berücksichtigen seien.

Das Gericht hat gegen das Urteil die Berufung zum Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg zugelassen.

Quelle | VG Berlin, Urteil vom 12.7.2023, VG 6 K 264/21, PM vom 18.9.2023

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Familien- und Erbrecht

Bestattung: Streit um Grabstätte der Eltern: Generalvollmacht gibt alleiniges Recht zur Totenfürsorge

| Wer von seinen Eltern für den Fall, dass diese versterben, mit der Bestattung beauftragt wird, erlangt im Zweifel dadurch ein umfassendes Recht zur Totenfürsorge. Dies betrifft auch die Frage, wo die Eltern ihre letzte Ruhestätte finden sollen. Weitere Geschwister sind dann von dieser Entscheidung ausgeschlossen. Das hat das Landgericht (LG) Frankenthal in einem aktuellen Rechtsstreit zwischen zwei Brüdern entschieden, die darüber streiten, wo die Urnen ihrer Eltern beigesetzt sein sollen. |

Ein Sohn bekam Auftrag, Bestattung durchzuführen

Der Fall betraf ein Elternpaar aus Ludwigshafen mit rumänischen Wurzeln. Sie hatten einem ihrer beiden Söhne zu Lebzeiten eine notarielle Generalvollmacht erteilt, die auch über den Tod hinaus wirken sollte. Diese enthielt unter anderem den Auftrag an den Sohn, die Bestattung durchzuführen. Nach dem Tod der Eltern ließ dieser die beiden Urnen in einem Gräberfeld in Rumänien beisetzen.

Anderer Sohn war mit Durchführung nicht einverstanden

Damit war der andere Sohn nicht einverstanden und behauptet, dies habe nicht dem Willen der Eltern entsprochen. Er beantragte, den Bruder zu verurteilen, die Urnen nach Deutschland umzubetten.

Das Landgericht (LG) sah keinen Anspruch des nicht bevollmächtigten Bruders, auf die letzte Ruhestätte seiner Eltern Einfluss zu nehmen. Durch die Generalvollmacht sei dieses Recht ausschließlich nur einem der beiden Brüder übertragen worden. Nach Auffassung des LG regelt diese Vollmacht nicht nur die Frage der Bestattungskosten. Dem beauftragten Sohn sei vielmehr ein umfassendes Recht zur Totenfürsorge übertragen er könne also auch bestimmen, wo das Grab liegen und wie es aussehen solle. Demgegenüber sei der nicht berechtigte Bruder von jedem Einfluss und jeglicher Kontrolle ausgeschlossen. Das sei nur ausnahmsweise anders, wo die gewählte Form der Beisetzung als Verstoß gegen das allgemeine Sittlichkeits- und Pietätsempfinden aufgefasst werden könne oder etwa die Grabinschrift bestimmte Angehörige herabwürdige. Das sei hier nicht der Fall.

Auch war das LG nicht davon überzeugt, dass die Wahl des Bestattungsortes gegen den Willen der Verstorbenen verstoße. Vielmehr bestünden erhebliche Zweifel daran, ob das verstorbene Elternpaar tatsächlich in Ludwigshafen und nicht in Rumänien habe beigesetzt werden wollen. Zudem stelle jede Umbettung eine Störung der Totenruhe dar, die in Deutschland besonders geschützt und deshalb nur ausnahmsweise zulässig sei.

Die Entscheidung ist rechtskräftig.

Quelle | LG Frankenthal, Urteil vom 26.5.2023, 8 O 282/22, PM vom 29.8.2023

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Keine Kindeswohlgefährdung: Rechtswidrigkeit einer Inobhutnahme eines Kindes mit Behinderungen

| Das Verwaltungsgericht (VG) Göttingen hat auf Antrag eines Vaters festgestellt: Die Inobhutnahme eines (damals) elfjährigen Kindes im Jahr 2020 war rechtswidrig. |

Kind mit multiplen Störungen, Eltern in Trennung

Das heute 14-jährige Kind leidet u.a. an Störungen des Sozialverhaltens, Entwicklungsstörungen und unterdurchschnittlichen Lern- und Leistungsmöglichkeiten. Seit dem Jahr 2019 ist ihm Pflegegrad 3 und ein Grad der Behinderung von 50 zuerkannt. Seit November 2022 liegt der Grad der Behinderung bei 70. Die Eltern des Kindes trennten sich in den Jahren 2018/2019 und streiten seitdem um das Sorge- und Umgangsrecht. Dem Vater wurden mit Beschluss des AG vom Juli 2020 wesentliche Teile des Personensorgerechts entzogen, nämlich das Aufenthaltsbestimmungsrecht, die Gesundheitssorge und das Recht, Jugendhilfeanträge zu stellen. Diese Rechte wurden allein der Mutter übertragen. Im September 2020 stand dem Vater zeitweise kein Umgangsrecht zu. Im Oktober 2022 übertrug ein anderes AG den Eltern die Gesundheitssorge wieder gemeinsam.

Mehrere Hilfsmaßnahmen für das Kind

Seit 2017 bewilligte die Stadt Göttingen (Beklagte) immer wieder Hilfen nach dem Kinder- und Jugendhilferecht (Tagesgruppe, Heimerziehung, Schulbegleitung). Anfang September 2020 nahm sie das Kind mit Einverständnis der Mutter in Obhut. Die Inobhutnahme ist eine vorläufige Maßnahme zum Schutz von Kindern und Jugendlichen eine sozialpädagogische Krisenintervention. Sie beinhaltet eine vorübergehende Schutzgewährung sowie eine weiterführende Klärungshilfe. Mit Bescheiden vom November 2020 gewährte die Beklagte für das Kind Hilfe zur Erziehung in Form der Heimerziehung nach dem Wortlaut der Bescheide rückwirkend auf den Tag der Inobhutnahme. Mitte August 2022 wurde diese Hilfe beendet. Nach kurzer Unterbrechung folgten weitere Hilfen.

Mit seiner im April 2022 erhobenen Klage wollte der Vater des Kindes (Kläger) insbesondere festgestellt wissen, dass die damalige Inobhutnahme rechtswidrig war. Diesem Antrag folgte die Kammer.

Inobhutnahme war nicht erforderlich

Die Inobhutnahme war nicht erforderlich, so das AG nun. Die Erforderlichkeit sei nur gegeben, wenn allein die Inobhutnahme das Kindeswohl sichern könne und andere, weniger einschneidende Maßnahmen nicht zur Verfügung stünden.

Vorliegend hätte es für eine Fremdunterbringung keiner Inobhutnahme bedurft. Denn die Kindesmutter, die das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht und auch das Recht, Jugendhilfeanträge zu stellen sowie die Gesundheitssorge innehatte, sei mit einer Fremdunterbringung einverstanden gewesen. Die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Inobhutnahme vom September 2020 habe keine unmittelbaren Konsequenzen für die anschließend getroffenen und in Zukunft noch zu treffenden Entscheidungen über weitere Hilfeleistungen.

Quelle | VG Göttingen, Urteil vom 24.8.2023, 2 A 107/22, PM vom 4.9.2023

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Bundessozialgericht: Eltern können „Elterngeld Plus“ auch bei längerer Arbeitslosigkeit beanspruchen

| „Elterngeld Plus“ kann auch beansprucht werden, wenn ein Elternteil während der Partnerschaftsbonusmonate für längere Zeit erkrankt und keine Lohnfortzahlung mehr erhält. Dies hat das Bundessozialgericht (BSG) jetzt entschieden. |

Anspruch auf zusätzliche vier Monate „Elterngeld Plus“ als Partnerschaftsbonus haben Eltern nur, wenn beide Elternteile ihr Kind betreuen und gleichzeitig zwischen 25 und 30 Wochenstunden erwerbstätig sind. Während einer Arbeitsunfähigkeit besteht die Erwerbstätigkeit nach den Richtlinien des Bundesfamilienministeriums zum Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) nur bis zum Ende der Lohnfortzahlung weiter.

Der Kläger war kurz nach Beginn der Partnerschaftsbonusmonate erkrankt und über das Ende der Lohnfortzahlung hinaus arbeitsunfähig. Daher hatte die Elterngeldstelle die Leistungsbewilligung aufgehoben und das „Elterngeld Plus“ für die vollen vier Monate vom Kläger zurückgefordert. Die Aufhebung und Rückforderung erfolgten zu Unrecht.

Das BSG: Eltern sind auch dann „erwerbstätig“, wenn sie ihre auf die vorgeschriebene Zahl an Wochenstunden festgelegte Tätigkeit während einer vorübergehenden Arbeitsunfähigkeit tatsächlich nicht ausüben können, jedoch das Arbeitsverhältnis fortbesteht und die konkrete Tätigkeit voraussichtlich wieder aufgenommen werden wird. Eine andere Auslegung des BEEG widerspricht dem Ziel des „Elterngeld Plus“, die partnerschaftliche Betreuung des Kindes bei gleichzeitiger Teilzeittätigkeit beider Eltern wirtschaftlich abzusichern.

Quelle | BSG, Urteil vom 7.9.2023, B 10 EG 2/22 R PM 29/23

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Infektionsschutz: Masernimpfung bei Schulkindern ist Pflicht

| Das Verwaltungsgericht (VG) Minden hat zwei Eilanträge abgelehnt, mit der sich die Eltern gegen infektionsschutzrechtliche Verfügungen des Kreises Gütersloh gerichtet hatten. |

Die Eltern haben zwei schulpflichtige Kinder. Der Kreis Gütersloh forderte sie mit zwei Bescheiden auf, bis zum 29.9.2023 nachzuweisen, dass für ihre Kinder ein ausreichender Impfschutz gegen Masern bestehe oder die Kinder aus medizinischen Gründen nicht gegen Masern geimpft werden können. Für den Fall, dass den Aufforderungen nicht nachgekommen werde, drohte der Kreis den Eltern ein Zwangsgeld in Höhe von 250 Euro an.

Die Eltern, die keinen entsprechenden Nachweis vorgelegt hatten, meinten, bei den Anordnungen handle es sich um eine unzulässige Impfpflicht ihrer Kinder. Ihre Eilanträge blieben erfolglos. Die Bescheide, so das VG, seien bei summarischer Prüfung rechtmäßig. Rechtsgrundlage sei das Infektionsschutzgesetz (hier: § 20 Abs. 12 S. 1, Abs. 13 S. 1 IfSG), dessen Voraussetzungen erfüllt seien. Die vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) aufgestellten Kriterien zur Masernimpfung u.a. bei Kindergartenkindern seien auf den vorliegenden Fall im Wesentlichen übertragbar. Die Eingriffe in das Recht der Eltern auf Gesundheitssorge sowie der Regelung der Erziehung und das Recht auf körperliche Unversehrtheit der Kinder seien gerechtfertigt, da die Masernimpfung den überragend gewichtigen Rechtsgütern des Grundrechts auf Leben und der körperlichen Unversehrtheit einer Vielzahl von Personen diene.

Zwar könnten die Eltern anders als etwa bei Kindergartenkindern einer Immunisierung ihrer Kinder so nicht ausweichen. Dabei sei aber zum einen zu berücksichtigen, dass eine Impfung nach den auch vom BVerfG nicht in Zweifel gezogenen medizinischen Standards als dem Kindeswohl dienlich zu betrachten sei. Ferner hätten die Eltern aufgrund der Schulpflicht anders als im Fall eines betroffenen Kindergartenkindes nicht mit einem Betreuungsverbot zu rechnen.

Quelle | VG Minden, Beschlüsse vom 6.11.2023, 7 L 882/23 und 7 L 883/23, PM vom 7.11.2023

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Mietrecht und WEG

Mietminderung: Mieter muss Beeinträchtigungen durch nachbarliche Baustelle konkret darlegen

| Stützt der Mieter eine Mietminderung auf Lärm- und Staubbeeinträchtigungen durch die Baustelle des Nachbarn, muss er darlegen und beweisen, dass die Mietwohnung konkreten Immissionen ausgesetzt ist, die die Gebrauchstauglichkeit der Wohnung unmittelbar und wesentlich beeinträchtigen. Sofern das Bauvorhaben verschiedene Bauphasen mit unterschiedlichen Lärm- und Schmutzimmissionen durchläuft, muss der Mieter vortragen, welche Art von Beeinträchtigungen zu welchen Tageszeiten und über welche Zeitdauer in welcher Frequenz ungefähr aufgetreten sind. So hat es das Landgericht (LG) Berlin nun klargestellt. |

Es ging um eine Mietminderung wegen Neubauarbeiten auf dem benachbarten Grundstück im Zeitraum April 2019 bis zum Spätsommer 2019. Der Mietvertrag enthielt keine ausdrückliche Beschaffenheitsvereinbarung darüber, welche Immissionen vertragsgemäß auf die Mietsache einwirken (dürfen). Die Mieter behaupteten konkrete Beeinträchtigungen durch die Baustelle des Nachbarn.

Im Prozess legten sie zwei Fotos und ein „Lärmprotokoll vom 24.9.19“ vor. Die Vermieterin beanstandete, dass sich der Vortrag der Mieter auf einen im Zeitpunkt der Klageerhebung mehrere Monate zurückliegenden Zeitraum beschränke. Sie sei sicher, dass nicht von Beginn der Bauarbeiten an ein gleichmäßiger „Lärmpegel“ bestanden habe, zumal die Gründungsarbeiten abgeschlossen seien und mit lärm- und staubintensiven Maßnahmen nicht mehr zu rechnen sei. Darauf reagierten die Mieter nicht. Sie beantragten die Feststellung einer Minderung der Bruttomiete um durchgehend 20 Prozent ab April 2019 bis Ende 2020.

Damit hatten sie keinen Erfolg. Die Mieter nahmen die Berufung nach Hinweis des LG zurück.

Quelle | LG Berlin, Urteil vom 9.2.2023, 65 S 111/22

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Formerfordernis: Nebenkostenabrechnung muss nicht unterschrieben werden

| Erstellt ein Vermieter von Gewerberaum eine Nebenkostenabrechnung und ist diese undatiert, nicht unterschrieben und enthält keine Anschrift des Mieters, ist sie dennoch nicht mangelhaft. So sieht es das Oberlandesgericht (OLG) Brandenburg. Ein Problem stellt die fehlende Adressangabe nur dar, wenn ein Mieter möglicherweise verzogen ist. |

Die Mieterin hatte vom Vermieter im Jahr 2015 ein Gewerbeobjekt gemietet. Später klagte diese wegen fehlerhafter Nebenkostenabrechnungen und forderte Beträge zurück. Sie bemängelte u. a., die Abrechnungen seien undatiert und ohne Anschrift erstellt. Zudem seien die Abrechnungen nicht unterschrieben, sodass nicht erkennbar sei, ob der Vermieter sie ausgestellt habe. Klage und Berufung der Mieterin blieben jedoch ohne Erfolg.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) muss eine solche Abrechnung den allgemeinen Anforderungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs (hier: § 259 BGB) entsprechen. Eine fehlende Unterschrift ist daher unschädlich. Anders als bei preisgebundenem Wohnraum ist Schriftform nicht vorgeschrieben, die Parteien hatten dies auch nicht vertraglich vereinbart. Auch, wenn die Abrechnung schriftlich erteilt werden muss, ergibt sich daraus keine Pflicht, dass sie die vollständige Anschrift des Mieters enthalten muss vor allem, wenn die Abrechnung die Adresse des Mietobjekts und den Namen der Mieterin aufführt. Ebenso ist ein Ausstellungsdatum entbehrlich, da die Klägerin die Abrechnungen problemlos prüfen kann. Es kommt insoweit allein auf den Zugang und nicht auf das Ausstellungsdatum an.

Quelle | OLG Brandenburg, Urteil vom 23.5.2023, 3 U 94/22

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Betriebskostenabrechnung: Widerspruchsrecht bei Anmietung von Messgeräten

| Der Vermieter wollte nach Ablauf der Eichfrist neue Messgeräte für Heizung und Warmwasser anmieten. Darüber und über die anfallenden Kosten informierte er seine Mieter. Etwa ein Jahr nach dieser Mitteilung widersprachen die Mieter der Anmietung von Messgeräten. Der Vermieter stellte die Mietkosten in seine Betriebskostenabrechnung ein. Da die Zahlungen ausblieben, erhob er Klage. Sie blieb vor dem Amtsgericht (AG) Erfurt ohne Erfolg. |

Das AG: Der Vermieter habe nicht das in der Heizkostenverordnung (hier: § 4 HeizKV) vorgeschriebene Verfahren für die Anmietung von Messgeräten eingehalten. Es reiche nicht aus, nur die Absicht der Anmietung unter Hinweis auf die anfallenden Mietkosten mitzuteilen.

Der Vermieter müsse auf das Widerspruchsrecht der Mieter hinweisen. Zwar enthalte der Wortlaut der Norm keine solche Hinweispflicht. Aber um sein in der Norm enthaltenes Widerspruchsrecht ausüben zu können, sei es erforderlich, die Mieter auf diese Möglichkeit hinzuweisen. Ansonsten liefe das Recht ins Leere, da ein nicht juristisch vorgebildeter Laie im Regelfall hiervon keine Kenntnis habe.

Quelle | AG Erfurt, Urteil vom 7.12.2022, 5 C 145/21

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WEG: Rechtswidrige bauliche Veränderung durch Verwalter

| Eine vom Verwalter veranlasste bauliche Veränderung am Gemeinschaftseigentum ohne Ermächtigungsbeschluss ist rechtswidrig. Ein einzelner Wohnungseigentümer kann deren Beseitigung aber nur erreichen, indem er in der Eigentümerversammlung den Beschluss fassen lässt, dass auf Veranlassung der Gemeinschaft die bauliche Veränderung wieder beseitigt wird. So hat es das Amtsgericht (AG) Bergisch Gladbach entschieden. |

Ein Wohnungseigentümer verlangte mittels einstweiliger Verfügung von der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer, Sanierungsmaßnahmen an vier Blumenkübeln rückgängig zu machen, die zum Gemeinschaftseigentum gehören. Der Verwalter hatte als Vertretungsorgan der Wohnungseigentümergemeinschaft die Maßnahmen ohne Ermächtigungsbeschluss ausführen lassen. Der Eigentümer hatte damit keinen Erfolg: Er könne gegen die Gemeinschaft keinen Anspruch auf Unterlassung der Sanierungsmaßnahme geltend machen, so das AG. Nur der Verband sei für die sich aus dem gemeinschaftlichen Eigentum ergebenden Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche prozessführungsbefugt. Da sich die Gemeinschaft nicht selbst auf Beseitigung der baulichen Veränderung in Anspruch nehmen könne, scheide die vom Antragsteller gewählte Möglichkeit der Rechtsverfolgung aus. Ein einzelner Eigentümer könne die Beseitigung der baulichen Veränderung nur erreichen, indem er im Rahmen einer Eigentümerversammlung zur Abstimmung stellen lässt, dass auf Veranlassung der Gemeinschaft eben diese unrechtmäßige bauliche Veränderung wieder beseitigt werde. Prozessführungsbefugt ist insoweit allein die Eigentümergemeinschaft.

Quelle | AG Bergisch Gladbach, Urteil vom 19.4.2023, 71 C 9/23

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Verbraucherrecht

Pauschalreise: Boarding verpasst: Reiseveranstalter sind Verzögerungen bei der Sicherheitskontrolle am Flughafen nicht zuzurechnen

| Das Amtsgericht (AG) München hat die Klage gegen einen Reiseveranstalter auf Rückerstattung des Reisepreises für eine Pauschalreise in Höhe von 1.648 Euro abgewiesen. Die Reisenden hatten nach Verzögerungen bei der Sicherheitskontrolle das Boarding verpasst. |

Bodenpersonal verweigerte Zutritt zum Flugzeug

Ein Mann hatte beim Reiseveranstalter für sich und seine Ehefrau eine Pauschalreise gebucht. Beim Online-Check-in erhielt er die Weisung, um 12:50 Uhr am Gate zu sein. Tatsächlich erreichten beide das Gate um 13:05 Uhr. Obwohl das Flugzeug noch in Parkposition stand, verweigerte das Bodenpersonal den Reisenden den Zutritt zum Flugzeug.

Der Reisende meinte, alles richtig gemacht zu haben

Der Mann sagte, er habe sich am Abreisetag gemeinsam mit seiner Ehefrau um 10:15 Uhr, damit 3 Stunden und 20 Minuten vor Abflug, in die Flughafenhalle begeben. Der Schalter zur Gepäckabgabe für den gebuchten Flug sei jedoch erst um 11:00 Uhr geöffnet worden. Der Mann und seine Ehefrau hätten ihr Gepäck abgegeben und sich im Anschluss daran gegen 11:20 Uhr direkt zur Sicherheitskontrolle begeben. Die Sicherheitskontrolle habe dann jedoch bis ca. 13:00 Uhr gedauert, da anstelle der ca. 20 Schalter der Sicherheitskontrolle für einen gesamten Abflugbereich nur ein einziger Schalter geöffnet gewesen sei.

Nach Auffassung des Mannes habe er gegen den Reiseveranstalter einen Anspruch auf Rückerstattung des Reisepreises. Der Reiseveranstalter hätte wissen müssen, dass nicht hinreichend Personal in der Sicherheitskontrolle zur Verfügung stand. Entsprechend hätte der Reiseveranstalter auf eine frühere Öffnung der Gepäckabgabeschalter der Airline hinwirken müssen und die Reisenden auf überlange Wartezeiten aufmerksam machen müssen.

Reiseveranstalter meinte, langsame Sicherheitskontrolle gehe ihn nichts an

Nach Sichtweise des Reiseveranstalters hätten weder er noch seine Leistungserbringer die Vertragsdurchführung vereitelt. Eine zu langsame Sicherheitskontrolle am Flughafen sei ihm nicht zuzurechnen. Es handle sich bei den Sicherheitsbehörden nicht um seine Erfüllungsgehilfen oder Leistungsträger. Die Durchführung von Sicherheitskontrollen sei keine vertragliche Obliegenheit, sondern eine hoheitlich staatliche Aufgabe, deren Durchführung und Organisation vom Reiseveranstalter nicht beeinflusst werden könne. Er sei auch nicht gehalten gewesen, Schalter mehr als 2,5 Stunden vor dem geplanten Abflug zu öffnen. Er könne sich darauf verlassen, dass die Luftsicherheitsbehörde den Ablauf der Sicherheitskontrollen so gestalte, dass die Sicherheitskontrolle vor Abflug unproblematisch erfolgen könne.

Gericht wies Klage ab

Das AG wies die Klage auf Rückerstattung des Reisepreises gegen den Reiseveranstalter ab. Die Reise leide nicht an einem Mangel. Vielmehr hätte sich der Mann mit dem Antritt der Reise in einem sog. Annahmeverzug befunden, indem er das Abflug-Gate des gebuchten Flugs erst nach dessen Schließung um 13:05 Uhr anstatt um 12:50 Uhr erreichte. Nachdem das Gate geschlossen war, bestand kein Anspruch mehr auf Zutritt zum Flugzeug und damit auf Beförderung durch die Leistungserbringer des Reiseveranstalters.

Sicherheitskontrolle ist hoheitliche Aufgabe des Staates

Der Reiseveranstalter muss sich eine etwaige Verzögerung bei der sog. „Sicherheitskontrolle“ am Flughafen auch nicht zurechnen lassen. Die Personen- und Gepäckkontrolle ist keine Leistungserbringung des Reiseveranstalters oder seiner Leistungsträger im Rahmen des Reisevertrags. Es handle sich vielmehr um eine hoheitliche Aufgabe des Staates, die durch die zuständige Luftsicherheitsbehörde regelmäßig unter Beauftragung der Bundespolizei ausgeführt wird. Etwaige Fehler der Planung der Luftsicherheitsbehörden bei der Sicherheitskontrolle der Passagiere muss sich die Beklagte nicht zurechnen lassen.

Der Reiseveranstalter müsse den Gepäckabgabeschalter auch nicht mehr als zweieinhalb Stunden vor Abflug öffnen. Er durfte sich darauf verlassen, dass die Sicherheitskontrolle so organisiert ist, dass ein Erreichen des Gates bis zur angegebenen Boardingzeit problemlos innerhalb der zur Verfügung stehenden Zeitspanne möglich ist. Auch eines Hinweises auf eine etwaige längere Dauer der Sicherheitskontrolle durch den Reiseveranstalter bedurfte es nicht; der Hinweis auf die Boardingzeit beim Check-In war ausreichend. Es wäre vielmehr am Reisenden gewesen, für ein rechtzeitiges Passieren der Sicherheitskontrolle gegebenenfalls durch ein Herantreten an andere Reisende mit der Bitte um bevorzugte Abfertigung unter Hinweis auf die gesetzte Boardingzeit Sorge zu tragen.

Andere Reisende hatten das Flugzeug schließlich auch erreicht

Der Vortrag des Mannes erschien dem AG auch unplausibel vor dem Hintergrund, dass andere Reisende das Flugzeug offenbar trotz der vorgetragenen Verzögerungen in der Sicherheitskontrolle rechtzeitig erreicht haben es ist nach der Lebenserfahrung davon auszugehen, dass das Flugzeug nicht ohne Passagiere und Gepäck nach Madeira geflogen ist. Ein zur Minderung des Reisepreises (gar auf Null) berechtigender Reisemangel sei nach alledem nicht erkennbar. Der Mann habe es zudem versäumt, etwaige Mängel der Reiseleistung gegenüber dem Reiseveranstalter anzuzeigen und diesen zur Abhilfe aufzufordern.

Quelle | AG München, Urteil vom 12.7.2023, 158 C 1985/23, PM vom 28.8.2023

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Insolvenzverfahren: Corona-Sonderzulage an niedersächsische Beamte ist grundsätzlich pfändbar

| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden: Die nach dem Niedersächsischen Besoldungsgesetz (NBesG) an alle Besoldungsempfänger zu zahlende Corona-Sonderzahlung stellt keine unpfändbare Erschwerniszulage dar. |

Lehrer in Insolvenz

Der Schuldner ist beamteter Lehrer des Landes Niedersachsen. Er stellte einen Insolvenzantrag und beantragte, ihm Restschuldbefreiung zu erteilen. Zugleich trat er seine pfändbaren Forderungen auf Bezüge aus seinem Dienstverhältnis für die Dauer von sechs Jahren nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens an einen vom Gericht zu bestimmenden Treuhänder ab. Das Insolvenzgericht hob das Insolvenzverfahren rund ein Jahr später auf und bestimmte einen Treuhänder.

Das Land Niedersachsen gewährte dem Schuldner knapp drei Jahre später eine Corona-Sonderzahlung in Höhe von 1.300 Euro. Der Schuldner beantragte beim Insolvenzgericht, dass ihm die Corona-Sonderzahlung als Erschwerniszulage vollständig pfändungsfrei belassen wird und nicht den Pfändungsvorschriften für Arbeitseinkommen unterfällt.

So sahen es die Vorinstanzen

Das Insolvenzgericht hat den Antrag abgelehnt. Das Beschwerdegericht hat in der nächsten Instanz die Unpfändbarkeit der Sonderzahlung bejaht und gemeint, der Landesgesetzgeber habe mit der hier einschlägigen Vorschrift im NBesG, nach deren Wortlaut die Sonderzahlung zur Abmilderung der zusätzlichen Belastung durch die COVID-19-Pandemie gewährt werde, hinreichend zum Ausdruck gebracht, dass diese dem Ausgleich besonderer pandemiebedingter Belastungen der Beamten diene. Damit habe der Gesetzgeber zugleich deren Charakter als Erschwerniszulage gesetzlich festgeschrieben.

So sah es der Bundesgerichtshof

Der BGH hat die Entscheidung des Beschwerdegerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an dieses zurückverwiesen.

Welche Anforderungen an eine Erschwerniszulage zu stellen sind, richtet sich allein nach dem Verständnis des Bundesgesetzgebers. Die Länder haben abweichend vom rechtsfehlerhaften Ansatz des Beschwerdegerichts keine Kompetenz, die Behandlung einer von ihnen gewährten Sonderzahlung als Erschwerniszulage gesetzlich vorzuschreiben und hierbei vom Gesetz abweichende Voraussetzungen festzulegen.

Hier lag eine abstrakt-generelle Regelung vor

Die Corona-Sonderzahlung nach § 63a NBesG erfüllt nicht die Voraussetzungen einer Erschwerniszulage. Pfändungsschutz wird danach gewährt, weil beim Schuldner eine besondere Belastung bei oder durch die Erbringung der Arbeitsleistung gegeben ist. Dies setzt voraus, dass die tatsächlichen Verhältnisse, die die Zulage veranlassen, konkret bezeichnet sind.

Wird der Kreis der anspruchsberechtigten Personen durch eine abstrakt-generelle Regelung festgelegt, muss diese Regelung den Kreis der anspruchsberechtigten Personen in hinreichend bestimmter Weise von dem Kreis derer abgrenzen, bei denen die tatsächlichen Verhältnisse, die die Leistung veranlasst haben, zu keiner Erschwernis der Arbeitsleistung führen. Sieht die abstrakt-generelle Regelung wie hier für alle Beschäftigten eine Zahlung des Dienstherrn vor, liegt darin nur dann eine Erschwerniszulage, wenn die tatsächlichen Verhältnisse bei allen Beschäftigten zu einer besonderen Belastung der Arbeitstätigkeit führen.

Sonderzahlung erfolgte nicht aufgrund individueller besonderer Belastung

Diese Anforderungen erfüllt § 63a NBesG nicht. Der Landesgesetzgeber hat davon abgesehen, den Anspruch auf die Corona-Sonderzahlung von einer besonderen Belastung der Arbeitstätigkeit durch die Corona-Pandemie abhängig zu machen.

Die beiden Voraussetzungen des Anspruchs (Bestehen eines Dienstverhältnisses am 29.11.2021 und Anspruch auf Dienstbezüge an mindestens einem Tag zwischen dem 1.1.2021 und dem 29.11.2021) sind unabhängig davon, ob der Empfänger besonderen Belastungen bei der Verrichtung des Dienstes ausgesetzt ist, wie etwa einem besonders intensiven Kontakt zu anderen Menschen und damit einem besonderen Infektionsrisiko. Die allgemeinen und gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen der Pandemie haben keinen Bezug zum Dienst und seiner Verrichtung, der eine Behandlung als unpfändbare Erschwerniszulage rechtfertigt.

Quelle | BGH, Beschluss vom 13.7.2023, IX ZB 24/22, PM 141/2023

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Amtspflicht: Wer trägt Projekt- und Reisekosten bei einem selbstständigen Abbruch einer Schulveranstaltung durch Schüler?

| Das Pfälzische Oberlandesgericht (OLG) Zweibrücken hat entschieden: Das Land Rheinland-Pfalz als Schulträger haftet nicht für gezahlte Projekt- und Reisekosten, wenn Schüler eine außerhalb der Schulzeit und des Schulgeländes stattfindende Schulveranstaltung abbrechen und vorzeitig eine kurzfristig selbstorganisierte Heimreise antreten. |

Schülerinnen brachen Teilnahme an Schulprojekt eigenmächtig ab

Zwei Schülerinnen nahmen an einem Schulprojekt teil, das außerhalb der Schulzeit und außerhalb des Schulgeländes stattfand. Das Schulprojekt hatte die Zielsetzung, die Eigenverantwortlichkeit der Schüler zu stärken. Es schloss aber auch die Möglichkeit eines Scheiterns ein, denn die teilnehmenden Schüler sollten zwar unterstützt durch die Schule, aber im Wesentlichen eigenständig, einen mehrtägigen auswärtigen Aufenthalt organisieren und dort dann während der Projektdauer sinnvolle Tätigkeiten ausüben.

Die Schülerinnen hatten für ihr Projekt mithilfe eines Veranstalters einen Aufenthalt in Estland geplant. Nach der Ankunft in Tallin und einer Übernachtung dort bestiegen die beiden jedoch am folgenden Morgen nicht, wie geplant, den Bus, der sie in das Camp bringen sollte, in dem das weitere Projekt durchgeführt wurde. Vielmehr flogen die Schülerinnen kurzfristig nach Deutschland zurück. Wieder zuhause angekommen, haben die Schülerinnen die Projekt- und die Reisekosten klageweise gegen das Land Rheinland-Pfalz als Träger ihrer Schule geltend gemacht. Sie haben vorgebracht, dass der das Schulprojekt betreuende Lehrer am Morgen vor der Abfahrt des Busses zunächst nicht erreichbar gewesen sei, eine Verständigung mit dem Betreuer vor Ort wegen der Sprachbarriere zudem nicht gelungen sei und die Projektgruppe vor Ort mit 40 bis 50 Mädchen zu groß gewesen sei.

Keine Verletzung von Amtspflichten

Das Landgericht (LG) Landau in der Pfalz hat die Klagen abgewiesen. Hiergegen haben die Schülerinnen jeweils Berufung eingelegt. Das OLG hat in einem Hinweisbeschluss ausgeführt, dass der das Schulprojekt betreuende Lehrer und auch die Schulleitung der Schule der Mädchen keine Amtspflicht verletzt hätten. Aus dem Vorbringen der beiden Schülerinnen ergebe sich keine konkrete Amtspflicht, die hätte verletzt werden können.

Weiter sei nicht ersichtlich, welches Verhalten der Schulleitung oder des zuständigen Lehrers gegen eine etwaig bestehende Amtspflicht überhaupt verstoßen habe. Der Umstand, dass sich die Schülerinnen den mit einer solchen Reise verbundenen sowie auch nicht immer vorhersehbaren, aber allgemein zu erwartenden Herausforderungen nicht gestellt und die Heimreise vorzeitig angetreten hätten, sei nicht völlig fernliegend, könne der Schule jedoch nicht angelastet werden. Im Übrigen beinhalte ein solches Projekt grundsätzlich auch die Möglichkeit eines Scheiterns der Teilnehmer.

Die Schülerinnen haben hierauf ihre Berufungen zurückgenommen. Das Urteil des LG ist damit rechtskräftig.

Quelle | OLG Zweibrücken, Beschluss vom 11.10.2023, 9 U 86/23, PM vom 7.11.2023

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Verkehrsrecht

Schadenersatz: Reparaturverzögerungen gehen zulasten des Schädigers

| Auch Reparaturverzögerungen führen in Verkehrssachen oft zu Rechtsstreitigkeiten. In einem aktuellen Fall hat das Amtsgericht (AG) Wesel festgestellt: Das Risiko einer Verzögerung der Reparatur aufseiten der Werkstatt trägt der Schädiger. |

In dem Rechtsstreit bestritt der Versicherer, dass eine Werkstattüberlastung die Ursache der Verzögerung war, die der Geschädigte nicht erkennen konnte. Dennoch sah das AG geschädigtenfreundlich keine Veranlassung, die Ursache näher aufzuklären. Denn es war der Ansicht: Dauert die Reparatur so lange, wie sie gedauert hat, kommt es so lange nicht darauf an, warum dies so war, wie der Geschädigte darauf keinen Einfluss hat. Sogar eine vom Versicherer behauptete Verzögerung wegen einer Fehlleistung der Werkstatt ginge nicht zulasten des Geschädigten.

Quelle | AG Wesel, Urteil vom 10.11.2023, 4 C 186/22, Abruf-Nr. 238383 unter www.iww.de

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Parksituation: Schild fällt auf Auto: trotzdem kein Schadenersatz?

| Ein mobiles Verkehrsschild kracht auf ein Auto. Wenn das Schild sicher aufgestellt war, gibt es keinen Schadenersatz, sagt das Landgericht (LG) Lübeck. |

Jeder kennt die Situation: Man stellt seinen Pkw auch schon einmal länger in einer Straße ab so auch eine Autofahrerin in Lübeck. Ihr Pech: Es gab einen Sturm und ein Schild fiel auf ihr Auto. Wenige Tage zuvor hatte ein Straßenbauunternehmen ein mobiles Verkehrsschild auf dem Gehweg aufgestellt. Der stürmische Wind blies mit Windstärke 8. Das Schild fiel dadurch auf das Auto und beschädigte es. Die Fahrerin war nicht vor Ort.

Das LG musste die Frage klären: Muss die Stadt oder das Straßenbauunternehmen für den Schaden am Fahrzeug aufkommen? Die Fahrerin meinte, das Verkehrsschild sei durch kräftigen Wind auf die Motorhaube gefallen. Das Straßenbauunternehmen habe es offensichtlich nicht ausreichend gesichert. Die Stadt hätte täglich oder zumindest alle zwei Tage überprüfen müssen, ob das Schild stabil steht.

Das Gericht befragte Zeugen, holte ein Gutachten eines Sachverständigen ein und kam zu dem Ergebnis: Weder die Stadt noch das Straßenbauunternehmen müssen Schadenersatz zahlen.

Das Gericht erkannte keine Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht. Der Sachverständige habe überzeugend erklärt, dass das Verkehrsschild durch mehrere Fußplatten ausreichend gesichert war und auch kräftigem Wind mit Windstärke 8 standhalten konnte. Der Zeuge habe glaubwürdig berichtet, dass es in der Straße häufig Vandalismus und abgetretene Briefkästen gebe. Das Verkehrsschild habe auch nicht fest im Boden verankert oder angekettet werden müssen. Eine tägliche Kontrolle sei nicht erforderlich gewesen. Die wöchentliche Kontrolle während der Feiertage habe ausgereicht.

Das Urteil ist rechtskräftig.

Quelle | LG Lübeck, Urteil vom 28.6.2023, 9 O 40/22, PM vom 17.8.2023

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Schadenersatz: Wie lange gibt es Neuwertentschädigung für verunfalltes Motorrad?

| Neuwertentschädigungsfälle auf der Grundlage „Nicht älter als ein Monat, nicht mehr als 1.000 km Laufleistung und erheblicher Schaden“ sind selten. Noch seltener sind sie bei einem Motorrad. Nun hat das Amtsgericht (AG) Leipzig in einem solchen Fall die begehrte Neuwertentschädigung zugesprochen. |

Das war geschehen

Ein Motorrad, das zum Unfallzeitpunkt vier Tage alt war und 128 km Laufleistung aufwies, hatte einen Verkehrsunfall. Ein Pkw war aufgefahren. Unter anderem waren das Hinterrad und die Hinterradschwinge beschädigt. Die Reparaturkosten beliefen sich auf etwa die Hälfte des Neupreises. Der Versicherer vertrat die Auffassung, es liege kein erheblicher Schaden vor.

So argumentierte das Gericht

Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte einmal entschieden, dass ein erheblicher Schaden gegeben ist, wenn dieser nicht nur „Schraubteile“ betrifft, sondern in die Substanz des Fahrzeugs eingreift. Außerdem muss das Neufahrzeug bereits erworben sein.

Bei Motorrädern ist insoweit problematisch, dass mit Ausnahme des Rahmens als solchem alle Teile an- und abgeschraubt werden können. Das gilt sogar für Hilfsrahmen und auch für die Hinterradschwinge, die das Hinterrad führt und Federbewegungen zulässt. Die Hinterradschwinge ist hochgradig sicherheitsrelevant, aber eben ein Schraubteil. Daran lässt sich leicht erkennen, dass die Kriterien für den Pkw schlecht auf Motorräder zu übertragen sind.

Der Auffassung, ein Schaden in Höhe eines halben Neupreises bei Einbeziehung sicherheitsrelevanter Teile sei nicht erheblich, widersprach das AG Leipzig. Es orientierte sich letztlich an den Reparaturkosten. Dem werden manche Gerichte nicht folgen. In anderen Fällen ist es aber gut, die Entscheidung zu kennen.

Quelle | AG Leipzig, Urteil vom 5.4.2023, 103 C 2950/22, Abruf-Nr. 235214 unter www.iww.de

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Nutzungsausfall: Fahrschule darf typgleichen Mietwagen nehmen

| Fällt ein Fahrschulwagen unfallbedingt aus, darf die Fahrschule einen typgleichen Ersatzwagen anmieten. Es ist nicht zumutbar, auf ein anderes Modell auszuweichen. So sieht es das Amtsgericht (AG) München. |

Das AG: Es sei amtsbekannt, dass es für Fahranfänger außerordentlich wichtig ist, ihre Fahrstunden und Prüfungsstunden in dem gewohnten Fahrzeugmodell zu absolvieren.

Fahrschulwagen, vor allem typgleiche, seien nur bei sehr wenigen Spezialanbietern zu finden. Die hohen Zustell- und Abholkosten vom räumlich entfernten Vermieter hat das Gericht daher ebenfalls „durchgewunken“.

Quelle | AG München, Urteil vom 9.8.2023, 322 C 13019/22, Abruf-Nr. 237304 unter www.iww.de

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Schadenersatz: Mietwagenkosten bei Homeoffice mit Rufbereitschaft

| Wenn der Geschädigte in ländlicher Gegend ohne ausgeprägten öffentlichen Nahverkehr lebt und im Homeoffice, aber mit Rufbereitschaft arbeitet, ist auch ein Kilometerverbrauch von durchschnittlich 12,5 Kilometern pro Tag ausreichend, um die Mietwagenkosten als erforderlich anzusehen. So sieht es das Amtsgericht (AG) Nördlingen. |

Bei einer Mietwagennutzung von unter 20 km/Tag greift die Erforderlichkeitsvermutung nicht. Das bedeutet: Der Geschädigte muss Gründe vortragen und ggf. beweisen, warum der Mietwagen dennoch für ihn notwendig war. Rufbereitschaft, also die zunächst ungewisse, aber später im Bedarfsfall dringende Fahrzeugnutzung, hatte ein anderes AG zuvor bereits für einen Feuerwehrmann anerkannt.

Quelle | AG Nördlingen, Urteil vom 21.7.2023, 1 C 129/23, Abruf-Nr. 236458 unterwww.iww.de

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Pkw-Kollision: Haftung: Unfall mit einem verkehrswidrig wendenden Auto

| Ein Autofahrer darf sich nicht darauf verlassen, dass ein verkehrswidrig auf seiner Fahrbahn zwecks Wenden querstehendes Fahrzeug rechtzeitig weiterfährt, sondern muss eine Kollision ggf. durch vollständiges Anhalten seines Fahrzeugs verhindern. So sieht es das Landgericht (LG) Hanau. |

Den Fahrer eines Fahrzeugs, der in ein anderes Fahrzeug, das auf seiner Fahrbahn vor ihm verkehrswidrig wendet, hineinfährt, obwohl er die Kollision durch vollständiges Abbremsen hätte verhindern können, trifft danach ein 50%iges Mitverschulden an dem Unfall.

Ein Autofahrer beabsichtigte, mit seinem Fahrzeug verkehrswidrig auf der Straße zu wenden. Zu diesem Zweck schlug er zum Wenden ein, musste jedoch auf seiner Fahrspur halten, da sich auf der Gegenfahrbahn noch Gegenverkehr befand. Der zweite Autofahrer näherte sich dem ersten Fahrzeug auf derselben Fahrbahn. Nachdem er das vor ihm quer stehende Fahrzeug bemerkte, hupte er und verlangsamte seine Geschwindigkeit, fuhr jedoch sodann in das erste Fahrzeug hinein. Obwohl der Fahrer des ersten Fahrzeugs dem des zweiten Fahrzeugs die Hälfte des ihm entstandenen Schadens ersetzt hatte, machte der auch die übrigen Schadenskosten geltend, da er der Ansicht war, dass der Verkehrsunfall ausschließlich von dem Fahrer des ersten Fahrzeugs aufgrund seines verkehrswidrigen Wendemanövers verursacht worden sei.

Das LG folgte dieser Ansicht jedoch nicht, sondern hielt beide Verkehrsteilnehmer zu gleichen Teilen für den Verkehrsunfall für mitverantwortlich. Zwar sei dem Fahrer des ersten Fahrzeugs zunächst vorzuhalten, dass er verkehrswidrig auf der Straße gewendet und zudem quer auf der Fahrbahn zum Stehen gekommen sei. Demgegenüber sei dem anderen Autofahrer ein im Ergebnis gleich hohes Fehlverhalten vorzuwerfen. Denn dieser hätte nicht darauf vertrauen dürfen, dass der erste Fahrer sein Fahrzeug von der Fahrbahn entfernt, bevor er die Stelle passiert. Obwohl er tatsächlich rechtzeitig abbremsen konnte, habe er lediglich seine Geschwindigkeit verringert und sei somit ohne zwingenden Grund in das Beklagtenfahrzeug hineingefahren. Das stelle einen Verstoß gegen das allgemeine verkehrsrechtliche Rücksichtnahmegebot dar.

Die Entscheidung ist rechtskräftig.

Quelle | LG Hanau, Hinweisbeschluss vom 13.6.2023, 2 S 62/22, PM vom 4.9.2023

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Abschließende Hinweise

Berechnung der Verzugszinsen

| Für die Berechnung der Verzugszinsen ist seit dem 1. Januar 2002 der Basiszinssatz nach § 247 BGB anzuwenden. Seine Höhe wird jeweils zum 1. Januar und 1. Juli eines Jahres neu bestimmt. Er ist an die Stelle des Basiszinssatzes nach dem Diskontsatz-Überleitungsgesetz (DÜG) getreten. |

Der Basiszinssatz für die Zeit vom 1. Juli 2023 bis zum 31. Dezember 2023 beträgt 3,12 Prozent. Damit ergeben sich folgende Verzugszinsen:

  • für Verbraucher (§ 288 Abs. 1 BGB): 8,12 Prozent
  • für den unternehmerischen Geschäftsverkehr (§ 288 Abs. 2 BGB): 12,12 Prozent*

* für Schuldverhältnisse, die vor dem 29.7.2014 entstanden sind: 11,12 Prozent.

Nachfolgend ein Überblick zur Berechnung von Verzugszinsen (Basiszinssätze).

Übersicht / Basiszinssätze

Zeitraum

Zinssatz

01.01.2023 bis 30.06.2023

1,62 Prozent

01.07.2022 bis 31.12.2022

-0,88 Prozent

01.01.2022 bis 30.06.2022

-0,88 Prozent

01.07.2021 bis 31.12.2021

-0,88 Prozent

01.01.2021 bis 30.06.2021

-0,88 Prozent

01.07.2020 bis 31.12.2020

-0,88 Prozent

01.01.2020 bis 30.06.2020

-0,88 Prozent

01.07.2019 bis 31.12.2019

-0,88 Prozent

01.01.2019 bis 30.06.2019

-0,88 Prozent

01.07.2018 bis 31.12.2018

-0,88 Prozent

01.01.2018 bis 30.06.2018

-0,88 Prozent

01.07.2017 bis 31.12.2017

-0,88 Prozent

01.01.2017 bis 30.06.2017

-0,88 Prozent

01.07.2016 bis 31.12.2016

-0,88 Prozent

01.01.2016 bis 30.06.2016

-0,83 Prozent

01.07.2015 bis 31.12.2015

-0,83 Prozent

01.01.2015 bis 30.06.2015

-0,83 Prozent

01.07.2014 bis 31.12.2014

-0,73 Prozent

01.01.2014 bis 30.06.2014

-0,63 Prozent

01.07.2013 bis 31.12.2013

-0,38 Prozent

01.01.2013 bis 30.06.2013

-0,13 Prozent

01.07.2012 bis 31.12.2012

0,12 Prozent

01.01.2012 bis 30.06.2012

0,12 Prozent

01.07.2011 bis 31.12.2011

0,37 Prozent

01.01.2011 bis 30.06.2011

0,12 Prozent

01.07 2010 bis 31.12.2010

0,12 Prozent

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Steuern und Beiträge Sozialversicherung: Fälligkeitstermine in 01/2024

| Im Monat Januar 2024 sollten Sie insbesondere folgende Fälligkeitstermine beachten: |

Steuertermine (Fälligkeit):

  • Umsatzsteuer: 10.01.2024
  • Lohnsteuer: 10.01.2024

Bei einer Scheckzahlung muss der Scheck dem Finanzamt spätestens drei Tage vor dem Fälligkeitstermin vorliegen.

Beachten Sie | Die für alle Steuern geltende dreitägige Zahlungsschonfrist bei einer verspäteten Zahlung durch Überweisung endet am 15.01.2024. Es wird an dieser Stelle nochmals darauf hingewiesen, dass diese Zahlungsschonfrist ausdrücklich nicht für Zahlung per Scheck gilt.

Beiträge Sozialversicherung (Fälligkeit):

Sozialversicherungsbeiträge sind spätestens am drittletzten Bankarbeitstag des laufenden Monats fällig, für den Beitragsmonat Januar 2024 am 29.01.2024.

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Würtemberger und Leßmann . Rechtsanwaltskanzlei . Pirnaer Straße 20 . 68309 Mannheim