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News 07/2023Inhaltsverzeichnis der Ausgabe 07-2023:Arbeitsrecht
Baurecht
Familien- und Erbrecht
Mietrecht und WEG
Verbraucherrecht
Verkehrsrecht
Abschließende HinweiseArbeitsrechtBundesarbeitsgericht: Wann verjährt der Anspruch auf Urlaubsabgeltung?| Der gesetzliche Anspruch eines Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber, nicht genommenen Urlaub nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses abzugelten, unterliegt der Verjährung. Die dreijährige Verjährungsfrist beginnt in der Regel mit dem Ende des Jahres, in dem der Arbeitnehmer aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet. Endete das Arbeitsverhältnis vor der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 6.11.2018 und war es dem Arbeitnehmer nicht zumutbar, Klage auf Abgeltung zu erheben, konnte die Verjährungsfrist nicht vor dem Ende des Jahres 2018 beginnen. | Das war geschehen Die Beklagte betreibt eine Flugschule. Sie beschäftigte den Kläger seit dem 9.6.2010 als Ausbildungsleiter, ohne ihm seinen jährlichen Urlaub von 30 Arbeitstagen zu gewähren. Unter dem 19.10.2015 verständigten sich die Parteien darauf, dass der Kläger in der Folgezeit als selbstständiger Dienstnehmer für die Beklagte tätig werden sollte. Mit der im August 2019 erhobenen Klage verlangte der Kläger u. a. Abgeltung von Urlaub aus seiner Beschäftigungszeit vor der Vertragsänderung. Die Beklagte erhob die Einrede der Verjährung. So sahen es die Gerichte Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die Revision des Klägers hatte beim Bundesarbeitsgericht (BAG) Erfolg, soweit er die Beklagte auf Abgeltung von Urlaub aus den Jahren 2010 bis 2014 in Anspruch nahm. Bezogen auf Urlaubsabgeltung für das Jahr 2015 blieb sie erfolglos. Urlaubsansprüche können verjähren. Die dreijährige Verjährungsfrist beginnt jedoch erst am Ende des Kalenderjahres, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch informiert und ihn im Hinblick auf Verfallfristen aufgefordert hat, den Urlaub tatsächlich zu nehmen. So hatte es das BAG bereits früher entschieden. Hat der Arbeitgeber diesen Mitwirkungsobliegenheiten nicht entsprochen, kann der nicht erfüllte gesetzliche Urlaub aus möglicherweise mehreren Jahren im laufenden Arbeitsverhältnis weder verfallen noch verjähren und ist bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses abzugelten. Der Urlaubsabgeltungsanspruch unterliegt ebenfalls der Verjährung. Die dreijährige Verjährungsfrist für den Abgeltungsanspruch beginnt in der Regel am Ende des Jahres, in dem das Arbeitsverhältnis endet, ohne dass es auf die Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten ankommt. Die rechtliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses bildet einen Einschnitt. Der Urlaubsabgeltungsanspruch ist anders als der Urlaubsanspruch nicht auf Freistellung von der Arbeitsverpflichtung zu Erholungszwecken unter Fortzahlung der Vergütung gerichtet, sondern auf dessen finanzielle Kompensation beschränkt. Die strukturell schwächere Stellung des Arbeitnehmers endet mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Bei einer verfassungs- und unionsrechtskonformen Anwendung der Verjährungsregelungen kann die Verjährungsfrist nicht beginnen, solange eine Klageerhebung aufgrund einer gegenteiligen höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht zumutbar ist. Vom Kläger konnte bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Oktober 2015 nicht erwartet werden, seinen Anspruch auf Abgeltung des bis dahin nicht gewährten Urlaubs aus den Jahren 2010 bis 2014 gerichtlich durchzusetzen. Das BAG ging zu diesem Zeitpunkt nämlich noch davon aus, dass Urlaubsansprüche mit Ablauf des Urlaubsjahres oder eines zulässigen Übertragungszeitraums unabhängig von der Erfüllung von Mitwirkungsobliegenheiten automatisch verfielen. Erst, nachdem der EuGH in 2018 neue Regeln für den Verfall von Urlaub vorgegeben hatte, war der Kläger gehalten, Abgeltung für die Urlaubsjahre von 2010 bis 2014 gerichtlich geltend zu machen. Demgegenüber ist der Anspruch des Klägers auf Abgeltung von Urlaub aus dem Jahr 2015 verjährt. Schon auf Grundlage der früheren Rechtsprechung musste der Kläger erkennen, dass die Beklagte Urlaub aus diesem Jahr, in dem das Arbeitsverhältnis der Parteien endete, abgelten musste. Die dreijährige Verjährungsfrist begann deshalb Ende des Jahres 2015 und endete mit Ablauf des Jahres 2018. Der Kläger hat die Klage aber erst im Jahr 2019 erhoben. Quelle | BAG, Urteil vom 31.1.2023, 9 AZR 456/20, PM 5/23 Gesetzliche Unfallversicherung: Sturz mit Inlineskates bei einem Firmenlauf| Eine Arbeitnehmerin steht nicht als Beschäftigte unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, wenn sie bei einem Firmenlauf auf Inlineskates stürzt und sich dabei verletzt. Das hat das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg jetzt entschieden. | Kein Zusammenhang mit der Beschäftigung Das LSG: Der Unfall habe sich nicht bei einer Aktivität ereignet, die mit der Beschäftigung in einem engen rechtlichen Zusammenhang stehe. Zum einen liege kein Betriebssport vor, der eine gewisse Regelmäßigkeit und das Ziel gesundheitlichen Ausgleichs voraussetze. Der Firmenlauf finde nur einmal jährlich statt und habe, auch wenn es sich um keinen Hochleistungssport handle, den Charakter eines Wettstreits. Keine betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung Zum anderen habe es sich bei dem Firmenlauf auch nicht um eine betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung gehandelt. Der Firmenlauf habe als Großveranstaltung mit anschließender Party vielen anderen Unternehmen und Einzelbewerbern offengestanden und eher den Charakter eines Volksfestes gehabt. Nur geringe Teilnehmerzahl Außerdem habe nur ein ganz geringer, sportlich interessierter Teil der Mitarbeiter des Unternehmens am Firmenlauf teilgenommen. Es habe gerade kein spezielles Programm für den großen Teil der nichtlaufenden Beschäftigten gegeben. Daher habe das Laufevent auch nicht den betrieblichen Zusammenhalt gefördert. Zwar sei im Betrieb für die Teilnahme am Firmenlauf geworben worden und der Arbeitgeber habe die Startgebühr übernommen sowie Lauf-Shirts mit dem Firmenlogo zur Verfügung gestellt. Das alles führe aber zu keiner abweichenden Bewertung. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Quelle | LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 21.3.2023, L 3 U 66/21, Abruf-Nr. 234577 unter www.iww.de Ungleichbehandlung: Unterschiedlich hohe tarifliche Nachtzuschläge sind zulässig| Eine Regelung in einem Tarifvertrag, die für unregelmäßige Nachtarbeit einen höheren Zuschlag vorsieht als für regelmäßige Nachtarbeit, verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, wenn ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung gegeben ist, der aus dem Tarifvertrag erkennbar sein muss. Ein solcher kann darin liegen, dass mit dem höheren Zuschlag neben den spezifischen Belastungen durch die Nachtarbeit auch die Belastungen durch die geringere Planbarkeit eines Arbeitseinsatzes in unregelmäßiger Nachtarbeit ausgeglichen werden sollen. So hat es jetzt das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden. | Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz? Die Beklagte ist ein Unternehmen der Getränkeindustrie. Die Klägerin leistete dort im Streitzeitraum Nachtarbeit im Rahmen eines Wechselschichtmodells. Im Arbeitsverhältnis der Parteien gilt der Manteltarifvertrag zwischen dem Verband der Erfrischungsgetränke-Industrie Berlin und Region Ost e.V. und der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten Hauptverwaltung vom 24. März 1998 (MTV). Der MTV regelt, dass der Zuschlag zum Stundenentgelt für regelmäßige Nachtarbeit 20 % und für unregelmäßige Nachtarbeit 50 % beträgt. Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, die Dauernachtarbeit leisten oder in einem 3-Schicht-Wechsel eingesetzt werden, haben daneben für je 20 geleistete Nachtschichten Anspruch auf einen Tag Schichtfreizeit. Die Klägerin erhielt für die von ihr geleistete regelmäßige Nachtschichtarbeit den Zuschlag i. H. v. 20 %. Sie ist der Auffassung, die unterschiedliche Höhe der Nachtarbeitszuschläge verstoße gegen den allgemeinen Gleichheitssatz. Ein sachlicher Grund für die unterschiedliche Behandlung bestehe unter dem Aspekt des Arbeits- und Gesundheitsschutzes, auf den es allein ankomme, nicht. Der Anspruch auf Schichtfreizeit beseitige die Ungleichbehandlung nicht, da damit nicht die spezifischen Belastungen durch die Nachtarbeit ausgeglichen würden. Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin weitere Nachtarbeitszuschläge in Höhe der Differenz zwischen dem Zuschlag für regelmäßige und unregelmäßige Nachtarbeit. Sachlicher Grund für Ungleichbehandlung gegeben Das Arbeitsgericht (ArbG) hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht (LAG) hat auf die Berufung der Klägerin das Urteil des ArbG geändert und der Klage teilweise stattgegeben. Nun hatte die Revision der Beklagten vor dem BAG Erfolg. Die Regelung im MTV zu unterschiedlich hohen Zuschlägen für regelmäßige und unregelmäßige Nachtarbeit verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz. Arbeitnehmer, die regelmäßige bzw. unregelmäßige Nachtarbeit im Tarifsinn leisten, sind zwar miteinander vergleichbar. Auch werden sie ungleich behandelt, indem für unregelmäßige Nachtarbeit ein höherer Zuschlag gezahlt wird als für regelmäßige Nachtarbeit. Für diese Ungleichbehandlung ist vorliegend aber ein aus dem Tarifvertrag erkennbarer sachlicher Grund gegeben. Der MTV beinhaltet zunächst einen angemessenen Ausgleich für die gesundheitlichen Belastungen sowohl durch regelmäßige als auch durch unregelmäßige Nachtarbeit und hat damit Vorrang vor dem gesetzlichen Anspruch auf einen Nachtarbeitszuschlag nach dem Arbeitszeitgesetz (hier: § 6 Abs. 5 ArbZG). Tarifvertragsparteien haben Gestaltungsspielraum Daneben bezweckt der MTV aber auch, Belastungen für die Beschäftigten, die unregelmäßige Nachtarbeit leisten, wegen der schlechteren Planbarkeit dieser Art der Arbeitseinsätze auszugleichen. Den Tarifvertragsparteien ist es im Rahmen der Tarifautonomie nicht verwehrt, mit einem Nachtarbeitszuschlag neben dem Schutz der Gesundheit weitere Zwecke zu verfolgen. Dieser weitere Zweck ergibt sich aus dem Inhalt der Bestimmungen des MTV. Eine Angemessenheitsprüfung im Hinblick auf die Höhe der Differenz der Zuschläge erfolgt nicht. Es liegt im Ermessen der Tarifvertragsparteien, wie sie den Aspekt der schlechteren Planbarkeit für die Beschäftigten, die unregelmäßige Nachtarbeit leisten, finanziell bewerten und ausgleichen. Quelle | BAG, Urteil vom 22.2.2023, 10 AZR 332/20, PM 11/23 BaurechtBauordnung: Beseitigung von Schottergärten| Das Niedersächsische Oberverwaltungsgerichts (OVG) hat sich erstmals mit der bauordnungsrechtlichen Zulässigkeit von Schottergärten befasst. Es hat dabei den Antrag auf Zulassung der Berufung gegen ein Urteil des Verwaltungsgerichts (VG) Hannover abgelehnt. Dieses hatte eine Klage auf die Beseitigung von Kies aus zwei Beeten gerichtete bauaufsichtliche Verfügung der Stadt Diepholz abgewiesen. | Das war geschehen Die Kläger sind Eigentümer eines mit einem Einfamilienhaus bebauten Grundstücks. Im Vorgarten haben sie zwei insgesamt etwa 50 m² große Beete angelegt. Diese sind mit Kies bedeckt, in den einzelne Pflanzen eingesetzt sind. Die Beteiligten streiten insbesondere darüber, ob es sich bei den Beeten um Grünflächen im Sinne der Niedersächsischen Bauordnung handelt. Danach müssen die nicht überbauten Flächen der Baugrundstücke Grünflächen sein, soweit sie nicht für eine andere zulässige Nutzung erforderlich sind. Die Grundstückseigentümer machen geltend, bei den Beeten handele es sich aufgrund der Anzahl und der Höhe der eingesetzten Pflanzen um Grünflächen. Jedenfalls sei ihr Garten unter Berücksichtigung der hinter dem Wohnhaus befindlichen Rasenflächen und Anpflanzungen insgesamt ein ökologisch wertvoller Lebensraum. Gerichtliche Instanzen folgen der Argumentation der Grundstückseigentümer nicht Dieser Argumentation ist das OVG ebenso wenig gefolgt wie zuvor das VG: Die Bauaufsichtsbehörde könne einschreiten, wenn nicht überbaute Flächen von Baugrundstücken nicht den Anforderungen der Niedersächsischen Bauordnung genügten. Dies sei hier der Fall. Kiesbeete sind keine Grünflächen Bei den Beeten der Kläger handele es sich nicht um Grünflächen, die durch nicht übermäßig ins Gewicht fallenden Kies ergänzt würden, sondern um Kiesbeete, in die punktuell Koniferen und Sträucher sowie Bodendecker eingepflanzt seien. Grünflächen würden durch naturbelassene oder angelegte, mit Pflanzen bewachsene Flächen geprägt. Wesentliches Merkmal einer Grünfläche sei der „grüne Charakter“. Dies schließe Steinelemente nicht aus, wenn sie nach dem Gesamtbild nur untergeordnete Bedeutung hätten, was eine wertende Betrachtung aller Umstände des Einzelfalls erforderlich mache. Dass die insgesamt nicht überbauten Flächen eines Baugrundstücks nur „überwiegend“ Grünflächen sein müssten, sodass die Grünflächen hinter dem Haus der Kläger die Kiesbeete im Vorgarten erlauben würden, sei der Niedersächsischen Bauordnung nicht zu entnehmen. Ein solches Verständnis widerspreche auch der Intention des Gesetzgebers, die „Versteinerung der Stadt“ auf das notwendige Ausmaß zu beschränken. Der Beschluss ist unanfechtbar. Quelle | Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 17.1.2023, 4 A 1791/21, PM vom 18.1.2023 Rücksichtnahmegebot: Bauvorbescheid für Reihenhausanlage in Gebiet mit Ein- bis Zweifamilienhäusern nicht nachbarrechtswidrig| Die Klage eines Nachbarn gegen einen dem Bauherrn erteilten Bauvorbescheid ist nur erfolgreich, wenn der Vorbescheid den Nachbarn in seinen subjektiven Rechten verletzt. Die Errichtung eines Wohngebäudes in einem Wohngebiet ist insoweit nicht zu beanstanden. Ein Bauvorbescheid für eine Reihenhausanlage verletzte in einem aktuellen Fall des Verwaltungsgerichts (VG) Neustadt/Wstr. die Nachbarn daher nicht in ihren Rechten. | Das war geschehen Die Kläger sind Eigentümer eines mit zwei Wohngebäuden bebauten Grundstücks im unbeplanten Innenbereich. Der sog. Beigeladene ist Eigentümer des westlich unmittelbar angrenzenden Grundstücks, auf dem er eine Reihenhausanlage mit vier Wohneinheiten und einer integrierten barrierefreien Einliegerwohnung errichten möchte. In der näheren Umgebung überwiegen grenzständige Wohn- und Nebengebäude. Nach mehreren Bauanträgen, die er jeweils wieder zurücknahm, nachdem die Planungen bei der Nachbarschaft Widerspruch hervorriefen, stellte der Beigeladene im August 2021 eine Bauvoranfrage für den Neubau eines Mehrfamilienwohnhauses. Nach den Bauplänen soll das Bauvorhaben im südlichen Bereich grenzständig an das östlich ebenfalls grenzständige Gebäude der Kläger angebaut werden. Hier sollen zwei Wohneinheiten entstehen. Ansonsten ist das Vorhaben mit einem weiteren Gebäude mittig auf dem Grundstück angeordnet. Stadt erteilte Bauvorbescheid Die beklagte Stadt erteilte dem Beigeladenen einen positiven Bauvorbescheid mit der Begründung, das Vorhaben füge sich in die Eigenart der näheren Umgebung ein und die Erschließung sei gesichert. Dagegen erhoben die Kläger Einspruch und machten u.a. geltend, das Vorhaben verstoße gegen den sog. Gebietsprägungserhaltungsanspruch und das Rücksichtnahmegebot. Die Errichtung eines massiven, bisher in der näheren Umgebung beispiellosen Mehrfamilienhauses beeinträchtige die Prägung des Wohngebiets mit kleinen Ein- bis Zweifamilienhäusern. Von dem Bauvorhaben des Beigeladenen gehe auch eine „erdrückende Wirkung“ auf ihr Grundstück aus. Durch die Verdichtung der Bebauung sei ferner eine Verschattung ihres Grundstücks gegeben. Hierdurch sei ihre Photovoltaikanlage nicht mehr nutzbar. Das sagt das Verwaltungsgericht Das VG hat die Klage jedoch abgewiesen: Der Vorbescheid verletze den Nachbarn nicht in seinen subjektiven Rechten. Er könne insbesondere nicht mit Erfolg einwenden, durch die Errichtung eines bisher in der näheren Umgebung beispiellosen Wohnkomplexes werde die Prägung des Wohngebiets mit Ein- bzw. Zweifamilienhäusern nahe der Straße beeinträchtigt. Das Vorhaben eines Wohngebäudes mit mehreren Stellplätzen erfülle gerade den Zweck eines Wohngebiets, indem es dem Wohnen diene. Es sei auch nicht zu erkennen, dass die Größe der baulichen Anlage und die Ausdehnung auf dem Baugrundstück die Zulässigkeit der Nutzungsart erfassen und beeinflussen sowie aufgrund der Dimensionierung des Bauvorhabens eine neue Art der baulichen Nutzung in das Wohngebiet hineintragen werde. Die Zahl der Wohnungen sei kein Merkmal, das die Art der baulichen Nutzung präge. Keine Rücksichtslosigkeit erkennbar Der von den Klägern angefochtene Bauvorbescheid sei den Klägern gegenüber auch nicht rücksichtslos. Von einer „erdrückenden Wirkung“ könne keine Rede sein. Das Baurecht gewährleiste auch nicht die Einhaltung einer bestimmten Besonnungsdauer. Dies gelte auch für die hier gerügte Beeinträchtigung einer Photovoltaikanlage durch Verschattung. Quelle | VG Neustadt/Wstr., Urteil vom 17.1.2023, 5 K 616/22.NW, PM 3/23 Familien- und ErbrechtBAföG: Keine Verwertung eines Erbteils am Elternhaus| Werden BAföG-Leistungen unter Anrechnung des Wertes eines Miterbenanteils von 1/12 an einer von einem angehenden Studenten, seiner Mutter und seinen schulpflichtigen Brüdern bewohnten Immobilie versagt, verstößt dies gegen das Grundgesetz (Art. 3 Abs. 1 GG). So sieht es das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) . | Ein angehender Student beantragte erfolglos BAföG-Leistungen, da er 1/12 seines Elternhauses geerbt hatte, in dem er mit seiner Mutter und seinen Geschwistern wohnte. Erst seine Verfassungsbeschwerde war erfolgreich. Das BVerfG: Die Anrechnung wirtschaftlich unverwertbaren Vermögens ist eine unbillige Härte. Auch die Notwendigkeit, Vermögen im Wege der Zwangsversteigerung einzusetzen, kann ein Verwertungshindernis begründen. Denn dabei entsteht in der Regel ein erheblicher wirtschaftlicher Verlust. Unbeachtet geblieben ist, dass auch die Familie des Studenten gezwungen würde, ihren Anteil am Grundstück voraussichtlich unwirtschaftlich zu verwerten, obwohl sie ihr Vermögen nicht einsetzen muss, um diesem ein Studium zu ermöglichen, wobei ihm nur ein geringer Anteil am Grundstück zusteht. Quelle | BVerfG, Beschluss vom 21.3.2023, 1 BvR 1620/22, Abruf-Nr. 235163 unter www.iww.de Erbauseinandersetzung: Anfechtung eines Testaments| Auch wenn ein Testament aus Sicht des Erblassers klar formuliert ist, kann die gesetzliche Erbfolge einsetzen. So zeigt es nun das Landgericht (LG) Wuppertal. | Das war geschehen Die spätere Erblasserin war Eigentümerin eines neuwertigen Hausgrundstücks und verfügte über Barvermögen von rund 30.000 Euro. Ende 2002 verfasste sie ein handschriftliches Testament mit folgendem Wortlaut: „Mein Sohn S soll Erbe sein. Meine Tochter T soll ihren Pflichtteil erhalten. Das ist nicht als Straf- oder Benachteiligungsaktion zu sehen. Aber dieser Weg ist die einzige Möglichkeit, ablaufmäßig und verfahrenstechnisch zu gewährleisten, dass der Sohn unser Wohnhaus, das eine Belastung ist, erhalten kann. Ein Verschleudern-Müssen wollten wir nicht.“ Damit schien aus Sicht der Erblasserin alles klar geregelt. Doch das war ein Irrtum. Testamentsanfechtung der Tochter nach Veräußerung der Immobilie Für Zwecke der Pflichtteilbemessung wurde für die Immobilie vom Gutachterausschuss ein Wert von 710.000 Euro ermittelt. Auf dieser Basis erfolgte der Abschluss eines „Erbauseinandersetzungsvertrags“. Kurze Zeit später veräußerte der Sohn die Immobilie zu einem Preis von 819.000 Euro. Daraufhin hat die Tochter den Erbauseinandersetzungsvertrag und das Testament angefochten. Mit Erfolg: Nach der Entscheidung des LG ist infolge der Anfechtung die gesetzliche Erbfolge eingetreten. Hintergrund: Jeder Motivirrtum berechtigt dazu, eine letztwillige Verfügung anzufechten. Hier war die Vorstellung der Erblasserin, der Sohn werde das Haus behalten, wenn er Alleinerbe wird, ein solches Motiv, das für die Verfügung der Erblasserin in ihrem Testament bestimmend war. Den Erhalt des Hauses hat die Erblasserin wörtlich verbunden mit der Erwägung, dass sie das Haus nicht verschleudert sehen wolle. Darin kommt zum Ausdruck, dass das Haus in der Familie bleiben und nicht verkauft werden sollte. Quelle | LG Wuppertal, Urteil vom 5.12.2022, 2 O 317/21, Abruf-Nr. 233423 unter www.iww.de Pfändungsfreibetrag: BGH ändert Rechtsprechung zu Unterhaltszahlungen| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat eine Kehrtwende bezüglich der Frage gemacht, ob Unterhaltszahlungen bei der Bestimmung des pfandfreien Betrags nur in Höhe der tatsächlichen Unterhaltszahlungen oder in Höhe des gesetzlichen Anspruchs zu berücksichtigen sind. | Vater wollte von Teil der Pfändung verschont bleiben Der Gläubiger vollstreckt gegen den Schuldner, seinen Vater, wegen Unterhalt. Der Vater zahlt einem weiteren Kind Unterhalt. Im Pfändungs- und Überweisungsbeschluss (PfÜB) hat das AG festgesetzt, dass dem Vater für seinen eigenen notwendigen Unterhalt ein Betrag pfandfrei zu belassen ist. Im Hinblick auf den Unterhalt für das weitere Kind hat es festgesetzt, dass ihm darüber hinaus bis zu einem bestimmten Betrag weitere 50 Prozent zu belassen sind. Das Amtsgericht (AG) hat die Vollstreckungserinnerung des Vaters zurückgewiesen. Auf dessen sofortige Beschwerde hat das Beschwerdegericht den pfandfreien Betrag heraufgesetzt, damit der Vater seine Unterhaltspflicht gegenüber dem weiteren Kind erfüllen kann. Es hat die weitere Unterhaltspflicht des Vaters nicht in der sich aus dem Gesetz ergebenden Höhe, sondern nur in Höhe des tatsächlich geleisteten geringeren Unterhalts für das weitere Kind anerkannt. Im Übrigen blieb die sofortige Beschwerde erfolglos. Der Vater begehrte dann, allerdings erfolglos, mit der Rechtsbeschwerde zum BGH, den pfandfreien Betrag auf die Höhe der gesetzlichen Unterhaltspflicht heraufzusetzen. So sieht es der Bundesgerichtshof Der BGH: Vollstreckt ein Gläubiger wegen Unterhalt, ist dem Schuldner so viel zu belassen, als er für seinen notwendigen Unterhalt bedarf und um seine laufenden gesetzlichen Unterhaltspflichten gegenüber den dem Gläubiger vorgehenden oder gleichstehenden Berechtigten zu erfüllen. Das bedeutet: Beim pfandfreien Betrag sind diese Unterhaltspflichten gegenüber den dem Gläubiger vorgehenden oder gleichstehenden Berechtigten nur in dem Umfang zu beachten, in dem der Schuldner diese Pflichten den weiteren Berechtigten gegenüber erfüllt oder diese gegen ihn vollstrecken. Der Wortlaut der einschlägigen Vorschrift der Zivilen Prozessordnung (hier: § 850d Abs. 1 S. 2 ZPO) ist insoweit nicht eindeutig. Er kann zwar dahin verstanden werden, dass auf den Betrag abzustellen ist, der potenziell erforderlich wäre, um die laufenden gesetzlichen Unterhaltspflichten zu erfüllen. Es kommt jedoch auch ein Verständnis in Betracht, wonach insoweit ein Bedarf des Schuldners nur in dem Umfang anzunehmen ist, in dem er tatsächlich leistet. Nach Sinn und Zweck des Gesetzes ist aber die letztgenannte Auslegung zutreffend, so der BGH. Er betont: Solange der Schuldner seinen laufenden gesetzlichen Unterhaltspflichten gegenüber den weiteren Unterhaltsberechtigten nur teilweise nachkommt, werden diese durch die Zwangsvollstreckung des Unterhaltsgläubigers nicht benachteiligt. Sie können auch den pfandfreien Betrag dadurch erhöhen lassen, dass sie ihrerseits wegen ihres (teilweise) nicht erfüllten Unterhaltsanspruchs eine Änderung des PfÜB erwirken. Das schließt nicht aus, dass der Schuldner künftig freiwillig Unterhalt leisten wird. Er kann ebenfalls den PfÜB ändern lassen. Dem Problem, dass ihm vor einer Erhöhung des pfandfreien Betrags noch keine Mittel zur Verfügung stehen, um seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht in größerem Umfang nachzukommen, kann ggf. durch eine befristete Erhöhung Rechnung getragen werden. Unterhaltsgläubiger sollen nicht benachteiligt sein Würde man dem Schuldner stets den pfandfreien Betrag in Höhe der gesetzlichen Unterhaltspflichten belassen, wäre nicht sichergestellt, dass dieser Betrag den weiteren Unterhaltsberechtigten zufließt. Hat der Schuldner seine Unterhaltspflichten nicht oder nicht vollumfänglich erfüllt, liegt nahe, dass der pfandfreie Betrag ganz oder teilweise bei ihm verbleibt. In diesem Fall würde der vollstreckende Unterhaltsgläubiger zum Vorteil des Schuldners benachteiligt, ohne dass den weiteren Unterhaltsberechtigten hiermit gedient wäre. Das würde dem im Zwangsvollstreckungsrecht bezweckten Schutz der Unterhaltsgläubiger zuwiderlaufen und wäre mit deren Privilegierung nicht zu vereinbaren. Quelle | BGH, Urteil vom 18.1.2023, VII ZB 35/20, Abruf-Nr. 234009 unter www.iww.de Namensrecht: Klage auf Änderung des russisch klingenden Nachnamens erfolglos| Das Verwaltungsgericht (VG) Koblenz hat die Klage eines Ehepaares abgewiesen, das seinen russisch klingenden Nachnamen ändern wollte. | Die Kläger beantragten bei der beklagten Verbandsgemeinde eine Namensänderung, weil sie und ihre Tochter seit dem Beginn des Krieges in der Ukraine aufgrund ihres russisch klingenden Nachnamens Benachteiligungen im Alltag erlebten. Die Verbandsgemeinde lehnte die Namensänderung ab. Dagegen legten die Kläger Widerspruch ein und erhoben, nachdem dieser nicht innerhalb von drei Monaten seit Eingang beschieden worden war, Untätigkeitsklage beim VG. Die Klage hatte keinen Erfolg. Eine Änderung des Familiennamens, so das VG, sei nach den gesetzlichen Bestimmungen nur gerechtfertigt, wenn ein wichtiger Grund dafür vorliege. Das sei hier nicht der Fall. Die Tatsache allein, dass ein Familienname fremdsprachigen Ursprungs sei oder nicht Deutsch klinge, sei im Allgemeinen kein wichtiger Grund für eine Namensänderung. Für die in Deutschland geborenen und aufgewachsenen Kläger sei die begehrte Namensänderung auch nicht im Interesse der weiteren Eingliederung geboten. Soweit die Kläger darüber hinaus geltend machten, seit Beginn des Krieges in der Ukraine aufgrund ihres russisch klingenden Nachnamens Benachteiligungen im Alltag ausgesetzt zu sein, komme den geschilderten Vorkommnissen kein die Namensänderung rechtfertigendes Gewicht zu. Die Kläger hätten nicht dargelegt, dass der von ihnen getragene Nachname eine seelische Belastung für sie und ihre Tochter darstelle. Ein bloß vernünftiger Grund oder mit der Namensführung verbundene einfache Unzuträglichkeiten seien insoweit nicht ausreichend. Wirtschaftliche Gründe berechtigten vorliegend ebenfalls nicht zur Namensänderung. Sie beträfen nur die Nebentätigkeit des Klägers. Unabhängig davon handele es sich um einen vereinzelt gebliebenen Vorfall, sodass sich schon mit Blick auf die hauptberufliche Stellung des Klägers keine Anhaltspunkte für erhebliche nachteilige Auswirkungen auf die wirtschaftliche Situation der Familie ergäben. Gegen diese Entscheidung können die Beteiligten einen Antrag auf Zulassung der Berufung stellen. Quelle | VG Koblenz, Urteil vom 5.4.2023, 3 K 983/22.KO, PM 8/23 Mietrecht und WEGVertragsgemäßer Gebrauch: Anlocken von Vögeln auf dem Balkon kann untersagt werden| Wenn durch das Auslegen von Futter oder das Aufstellen eines Vogelhäuschens auf dem Balkon Singvögel angelockt werden und dadurch die Balkone, Markisen und Fensterbretter der Nachbarn erheblich verunreinigt werden, ist die Grenze des vertragsgemäßen Gebrauchs überschritten. Das hat das Amtsgericht (AG) Frankfurt a. M. nun klargestellt. | Die Mieterin stellte auf dem Balkon der Wohnung ein Vogelhäuschen mit Futter auf. Hierdurch wurden Vögel angelockt, die den darunterliegenden Balkon und dessen Markise mit Futterresten und Vogelkot verunreinigten. Darüber beschwerte sich die betroffene Nachbarin. Nach mehreren erfolglosen Abmahnungen erhob sie eine Unterlassungsklage mit Erfolg. Die Nachbarin habe gegenüber der Mieterin einen Anspruch auf Unterlassung, Vogelfutter auf dem Balkon auszulegen und ein Vogelhäuschen aufzustellen. Der Mieter müsse im Rahmen des vertragsgemäßen Gebrauchs darauf achten, Treppenhäuser, Zugänge und Außengeländer frei von nicht in dem Haus geduldeten Tieren zu halten. Das Anfüttern und Anlocken von Tieren stehe dem entgegen. Wenn durch das Auslegen von Futter oder das Aufstellen eines Vogelhäuschens auf dem Balkon Singvögel angelockt werden und es dadurch zu einer erhöhten Verunreinigung des Balkons, der Fensterbretter sowie des näheren Umfelds wozu auch die Balkone der benachbarten Wohnungen und gegebenenfalls die dort angebrachten Markisen gehören komme, sei die Grenze des vertragsgemäßen Gebrauchs überschritten. Quelle | AG Frankfurt a. M., Urteil vom 25.2.2022, 33 C 3812/21 Mietvertrag: Nutzung als Arbeitszimmer führt nicht zu einem Gewerbezuschlag| Ein Mietzuschlag für eine gewerbliche Nutzung der Wohnung kann nicht wirksam für Tätigkeiten vereinbart werden, die ohnehin vom Wohngebrauch gedeckt sind, z. B. für die Nutzung als Arbeitszimmer. So hat es das Landgericht (LG) Berlin entschieden. | Der Mietvertrag über eine Wohnung im Anwendungsbereich der Mietenbegrenzungsverordnung (MietBegrV) Berlin 2020 war als „Wohnungsmietvertrag mit teilgewerblicher Nutzung“ überschrieben. Die Vermieterin hatte den Mietern gestattet, eine im Einzelnen bezeichnete Fläche als Büroraum zu nutzen, wobei diese Nutzung von vornherein nur mit einem geringen und vereinzelten Kundenverkehr verbunden sein durfte. Das Anbringen von Firmenschildern bedurfte einer Genehmigung. Vereinbart war eine Staffelmiete, die einen Gewerbezuschlag beinhaltete und in dieser Höhe die zulässige Gesamtnettokaltmiete überschritt. Die Klage der Mieter auf Rückzahlung entsprechend überzahlter Nettokaltmieten hatte vor dem Amtsgericht (AG) Berlin-Pankow keinen Erfolg. Das LG änderte das Urteil des AG aber. Zwar könne eine Erweiterung der vertraglichen Nutzungsbefugnisse des Mieters wie etwa eine Erlaubnis zur teilgewerblichen Nutzung einen Zuschlag zu der in einem Mietspiegel üblicherweise für die reine Wohnraumnutzung ausgewiesenen Nettokaltmiete im Einzelfall rechtfertigen. (Mindest-)Voraussetzung dafür sei jedoch, dass die erlaubte Nutzung überhaupt über das hinausgeht, was nicht ohnehin schon unter den Begriff des „Wohnens“ fällt und deshalb von vornherein keiner Erlaubnis bedarf. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) fallen berufliche Tätigkeiten, die der Mieter etwa im häuslichen Arbeitszimmer ausübt, ohne dass sie nach außen in Erscheinung treten, nach der Verkehrsanschauung unter den Begriff des „Wohnens“. Das LG: Es könne dahinstehen, ob die Mieterin als freiberufliche Architektin in den Räumlichkeiten tätig werden wollte bzw. ob eine teilgewerbliche Nutzung zwischen den Parteien vereinbart wurde. Die Tätigkeit, die Gegenstand der Erlaubnis ist, bedürfe die Maßstäbe des BGH zugrunde gelegt bereits keiner Erlaubnis des Vermieters. Quelle | LG Berlin, Urteil vom 13.9.2022, 65 S 74/22 WEG: Kein Anspruch auf Balkonkraftwerk| Die Wohnungseigentümer haben keinen Anspruch auf die Genehmigung einer Mini-Solaranlage am Balkon (Balkonkraftwerk). So hat es das Amtsgericht (AG) Konstanz entschieden. | Das war geschehen Die Anlage besteht aus über 30 Wohnungen. Die beiden Eigentümerinnen einer Wohnung vermieteten diese an ihren Sohn bzw. Enkel. Dieser montierte mit ihrer Zustimmung, jedoch ohne Zustimmung der übrigen Eigentümer, an der Außenseite des Balkons eine Mini-Solaranlage, ein sog. „Balkonkraftwerk“ Das Modul hatte eine Fläche von 168 cm x 100 cm und war an einen Wechselrichter angeschlossen. In einer Eigentümerversammlung beschloss die Gemeinschaft im Anschluss mehrheitlich: „Der Verwalter wird ermächtigt und beauftragt, alle rechtlichen Mittel gegen die rechtswidrigen baulichen Veränderungen (Aufhängen von Sonnenkollektoren an Balkonbrüstungen) durch die Eigentümer X und Y/Z zu ergreifen.“ Ferner stimmten die Eigentümer mehrheitlich gegen die Genehmigung des Balkonkraftwerks der beiden Eigentümerinnen. Diese fochten die Beschlüsse an. Es lag eine Veränderungssperre vor Die Klage hatte keinen Erfolg. Der angefochtene Negativbeschluss verstoße weder gegen die ordnungsmäßige Verwaltung noch sonst gegen Gesetze. Es bestehe kein Anspruch auf Genehmigung des Balkonkraftwerks. Das Gesetz (hier: § 20 Abs. 1 WEG) enthalte eine sog. Bausperre für bauliche Veränderungen ohne Zustimmung der Eigentümer. Eine solche Veränderung stelle die Montage einer Photovoltaikanlage dar. Ein Eingriff in die Substanz sei hierzu nicht erforderlich. Die Anlage sei daher illegal angebracht worden. Es bestehe auch keine sog. „Ermessensreduzierung auf Null“, die Zustimmung zu der Anlage sei also nicht die einzig vertretbare Möglichkeit: Es sei auch irrelevant, dass die Wohnanlage (nicht) grundlegend umgestaltet werde oder einzelne Wohnungseigentümer gegenüber anderen (nicht) unbillig benachteiligt werden. § 20 Abs. 4 WEG solle nicht den veränderungswilligen Eigentümer unterstützen, sondern stelle im Gegenteil eine Veränderungssperre dar, wann eine bauliche Umgestaltung keinesfalls erfolgen dürfe. Quelle | AG Konstanz, Urteil vom 9.2.2023, 4 C 425/22 VerbraucherrechtBundessozialgericht: Gehunfähigkeit ist maßgeblich für die Nutzung von Behindertenparkplätzen| Das Bundessozialgericht (BSG) hat jetzt entschieden: Für die Zuerkennung des Merkzeichens „außergewöhnliche Gehbehinderung“ (aG) und damit für die Nutzung von Behindertenparkplätzen ist die Gehfähigkeit im öffentlichen Verkehrsraum maßgeblich. Kann der schwerbehinderte Mensch sich dort dauernd nur mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung außerhalb seines Kraftfahrzeuges bewegen, steht ihm das Merkzeichen aG zu (wenn auch die weiteren Voraussetzungen erfüllt sind). Eine bessere Gehfähigkeit in anderen Lebenslagen, etwa unter idealen räumlichen Bedingungen oder allein in vertrauter Umgebung und Situation, ist für dessen Zuerkennung grundsätzlich ohne Bedeutung. | Fortschreitender Muskelschwund In dem einen Verfahren leidet der Kläger u. a. an fortschreitendem Muskelschwund mit Verlust von Gang- und Standstabilität. Zwar ist ihm das Gehen auf einem Krankenhausflur möglich. Eine freie Gehfähigkeit ohne Selbstverletzungsgefahr im öffentlichen Verkehrsraum mit Bordsteinkanten, abfallenden oder ansteigenden Wegen und Bodenunebenheiten besteht aber nicht mehr. Das BSG hat in diesem Fall die erste Voraussetzung für das Merkzeichen aG, eine erhebliche mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung, als erfüllt angesehen. Da es nicht abschließend entscheiden konnte, ob auch die zweite Voraussetzung erfüllt ist, wonach gerade die mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung einem Grad der Behinderung von 80 entsprechen muss, wurde der Rechtsstreit an das Landessozialgericht (LSG) zurückverwiesen. Globale Entwicklungsstörung Im zweiten Verfahren konnte der Kläger infolge einer globalen Entwicklungsstörung nur in vertrauten Situationen im schulischen oder häuslichen Bereich frei gehen, nicht jedoch in unbekannter Umgebung. Das BSG hat entschieden, dass dem Kläger das Merkzeichen aG zusteht. Der auf volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am Leben in die Gesellschaft gerichtete Sinn und Zweck des Schwerbehindertenrechts umfasst gerade auch das Aufsuchen veränderlicher und vollkommen unbekannter Einrichtungen des sozialen, kulturellen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens. Die Gehfähigkeit ausschließlich in einer vertrauten Umgebung steht der Zuerkennung des Merkzeichens aG nicht entgegen. Die mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung des Klägers entspricht auch einem GdB von 80. Quelle | BSG, Urteile vom 9.3.2023, B 9 SB 1/22 R und B 9 SB 8/21 R, PM 9/23 Gesetzliche Krankenversicherung: Kostenübernahme für das Einfrieren von Samenzellen erst ab Erlass der Kryo-Richtlinie 2021| Die gesetzliche Krankenversicherung muss erst ab Erlass der sog. Kryo-Richtlinie 2021 die Kosten für das Einfrieren von Samenzellen übernehmen. So entschied es das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen. | Zeugungsunfähigkeit drohte Mann ließ Samenzellen einfrieren Ein 35-jähriger Mann bekam Ende 2019 die Diagnose Hodenkrebs. Unverzüglich ließ er den Tumor entfernen. Da seine Zeugungsfähigkeit durch Operation und Chemotherapie gefährdet war und er sich Kinder wünschte, empfahlen ihm die behandelnden Ärzte im Vorfeld eine Kryokonservierung von Samenzellen. Seinen Antrag auf Kostenübernahme für die Entnahme und Konservierung der Spermien lehnte die Krankenkasse ab. Das wollte der Mann nicht hinnehmen und klagte. Klage in zweiter Instanz abgewiesen Anders als die erste Instanz hat das LSG eine Leistungspflicht der Gesetzlichen Krankenversicherung verneint. Ein Leistungsanspruch gegen die Krankenkasse bestehe nicht bereits mit Erlass einer neuen Anspruchsnorm durch den Gesetzgeber, da diese erst in Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses zu Voraussetzungen, Art und Umfang der einzelnen Maßnahmen ausgestaltet werden müsse. Vor Erlass einer entsprechenden Richtlinie fehlten wesentliche Aussagen über die Voraussetzungen einer Kryokonservierung als Sachleistung durch die Gesetzliche Krankenversicherung. Der gesetzliche Leistungsanspruch verdichte sich erst mit Erlass der Richtlinie zu einem durchsetzbaren Einzelanspruch. Angesichts des ausdrücklichen Verweises im Gesetz sei klar ersichtlich, dass es zur Umsetzung der Norm noch weiterer Schritte in Form der Kryo-Richtline bedurfte. Quelle | LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 14.10.2022, L 16 KR 256/21 Notwegerecht: Es besteht kein Recht auf den bequemsten Weg zum Haus| Das Landgericht (LG) Frankenthal (Pfalz) hat sich in einem aktuellen Urteil zu Umfang, Grenzen und Voraussetzungen eines Notwegerechts geäußert. Die Klage eines Nachbar-Ehepaars, das durch die Errichtung eines Zauns auf dem angrenzenden Grundstück ein angebliches Notwegerecht zu seinem Haus verletzt sah, wurde abgewiesen. Denn es sei möglich, über einen anderen Zugang auf das Grundstück zu gelangen. Dass dieser Weg weniger bequem sei als der gewünschte, müsse hingenommen werden, so das LG. | Mitbenutzung eines Grundstücks: Zaun sollte weichen Hintergrund des Nachbarschaftsstreits war, dass die klagenden Eheleute über einige Zeit hinweg das Grundstück des beklagten Ehepaars mitbenutzten. Über dieses gelangten sie von der öffentlichen Straße aus mit Fahrrädern, Motorrädern und Mülltonen zum eigenen Hausgrundstück. Dort befinden sich ein überdachter Innenhof und mehrere Hauswirtschaftsräume. Nachdem die Nachbarn auf ihrem Grundstück entlang der Grundstücksgrenze einen Zaun errichtet hatten, war es dem klagenden Ehepaar nicht mehr möglich, auf diesem Weg in den Innenhof zu gelangen. Ihre Fahrräder u. ä. mussten sie fortan über einen anderen Weg, über zwei Stufen hinweg und durch den Hausflur hindurch befördern. Nach Ansicht der klagenden Eheleute sei ihnen dies nicht zuzumuten, weswegen sie von ihren Nachbarn Beseitigung des Zauns verlangten. Keine Insellage Das sah das LG jedoch anders. Ein Notwegerecht bestehe nur, wenn ein Grundstück von einer öffentlichen Straße nicht anders als über ein angrenzendes Grundstück zu erreichen ist. Hier liege aber keine solche Insellage vor. Das Eck-Grundstück der klagenden Eheleute grenze nämlich an zwei öffentliche Straßen und sei auch ohne Benutzung des benachbarten Grundstücks zu erreichen. Dass der alternative Weg umständlicher, weniger bequem oder kostspieliger herzurichten sei, spiele dabei keine Rolle. Ein Recht auf den bequemsten Weg könne aus den Grundsätzen zum Notwegerecht nicht abgeleitet werden. Gehbehinderung unerheblich Auch der Umstand, dass der klagende Ehemann unter einer Gehbehinderung leidet, führt nach Auffassung des LG zu keinem anderen Ergebnis. Denn für ein Notwegerecht seien allein die objektiven Begebenheiten maßgeblich. Auch eine verbindliche Vereinbarung der Nachbarn oder ein Gewohnheitsrecht sah die Kammer nicht als erwiesen an. Das Urteil ist rechtskräftig. Quelle | LG Frankenthal (Pfalz), Urteil vom 30.11.2022, 6 O 187/22, PM vom 27.3.2023 Nachbarschaftsstreit: Kein Zwangsgeld bei unterbliebenem Heckenrückschnitt| Verpflichtet sich ein Nachbar zum Heckenrückschnitt und kommt aber dieser der Pflicht dann nicht nach, kann gegen ihn kein Zwangsgeld verhängt werden. Da der Rückschnitt nicht durch den Nachbarn persönlich vorgenommen werden muss, kann der Anspruchsberechtigte eine Ermächtigung beantragen, den Schnitt selbst auszuführen, entschied jetzt das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main. | Die Parteien sind Nachbarn. Die Klägerin verpflichtete sich im Rahmen eines Vergleichs, „die sich über die Länge der überdachten Terrasse der Beklagten ziehende Bepflanzung auf ihrer Seite auf eine Höhe von 2,50 m zu kürzen und auf dieser Höhe zu halten“. Die Beklagten rügen, dass die Klägerin ihrer Pflicht nicht nachgekommen sei. Sie beantragten deshalb, ein Zwangsgeld festzusetzen, um den Rückschnitt zu erzwingen, hilfsweise beantragten sie Zwangshaft. Das Landgericht (LG) war diesem Antrag nachgekommen und hatte ein Zwangsgeld von 500 Euro, ersatzweise für den Fall fehlender Beitreibbarkeit einen Tag Zwangshaft verhängt. Die hiergegen eingelegte Beschwerde hatte vor dem OLG Erfolg. Ein Zwangsgeld zur Erzwingung der vergleichsweise übernommenen Verpflichtung sei hier rechtswidrig. Die Zwangsvollstreckung aus dem Vergleich beziehe sich nicht auf eine mittels Zwangsgeld durchsetzbare sog. nicht vertretbare Handlung. Der Rückschnitt der Bepflanzung müsse nicht durch die Klägerin persönlich, sondern könne auch durch Dritte erfolgen. Damit liege eine sog. vertretbare Handlung vor. Für die Beklagten sei es rechtlich und wirtschaftlich ohne jede Relevanz, wer die Arbeiten vornehme. Die Beklagten könnten folglich vor dem LG beantragen, ermächtigt zu werden, die erforderlichen Maßnahmen unter Einhaltung der naturschutzrechtlichen Grenzen selbst zu ergreifen. Soweit für die Vornahme der Arbeiten das Betreten des Grundstücks der Klägerin erforderlich sei, könnte auch eine Duldungsverpflichtung ausgesprochen werden. Die Entscheidung ist nicht anfechtbar. Quelle | OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 24.3.2023, 26 W 1/23, PM 21/23 Unterrichtsausfall: Kein Anspruch auf lehrplanmäßigen Unterricht bei Lehrermangel| Das Thüringer Oberverwaltungsgerichts (OVG) hat in einem wegen Unterrichtsausfall angestrengten Eilrechtsstreit die von neun Schülern und Schülerinnen erhobenen Beschwerden zurückgewiesen. Sein Fazit: Herrscht Lehrermangel, genügt Unterricht im Rahmen des Möglichen. | Schüler befürchten Nachteile Die Schüler und Schülerinnen besuchen die 8. Klasse des französisch-bilingualen Zweigs eines staatlichen Gymnasiums. Durch den Ausfall von Schulstunden wegen Lehrermangel sehen sie sich in ihrem durch das Grundgesetz und die Thüringer Verfassung geschützten Recht auf Bildung verletzt. Insbesondere befürchten sie, dass sie wegen des Stundenausfalls in den bilingual unterrichteten Fächern die Anforderungen für den Erwerb des Europäischen Exzellenzlabels „CertiLingua“ verfehlen werden und wollen Nachteile für die besondere Leistungsfeststellung in der Klassenstufe 10 und die spätere Abiturprüfung abwenden. Anspruch nicht glaubhaft gemacht Im Rahmen eines verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens begehrten sie deshalb, den Freistaat Thüringen zu verpflichten, den Unterricht nach dem ungekürzten Stundenplan (sog. Rahmenstundentafel) abzusichern. Das zunächst angerufene Verwaltungsgericht (VG) hat den Eilantrag abgelehnt. Die dagegen erhobene Beschwerde hat das OVG nun zurückgewiesen. Die Antragsteller und Antragstellerinnen hätten keinen Anspruch auf Unterricht entsprechend dem ungekürzten Stundenplan der 8. Klasse glaubhaft gemacht. Kein Anspruch auf bestimmte Gestaltung des Unterrichts Das Zertifikat CertiLingua gehöre nicht zum Bildungsgang des Gymnasiums im bilingualen Zweig und werde ausschließlich im außerschulischen Bereich vergeben. Der bilinguale Zweig stelle demgegenüber in Thüringen ein rechtlich anerkanntes Schulprofil mit dem Ziel der Begabtenförderung dar. Aber auch daraus folge kein Anspruch auf Erteilung unverkürzten Unterrichts. Der Staat komme seiner Pflicht aus dem verfassungsrechtlich abgesicherten Recht auf Bildung nach, wenn er das Schulwesen so plane und organisiere, dass allen jungen Bürgern nach ihren Fähigkeiten die dem heutigen gesellschaftlichen Leben entsprechenden Bildungsmöglichkeiten offen stehen. Bei der Festlegung der Schulorganisation, der Erziehungsprinzipien und Unterrichtsgegenstände habe der Staat eine weitgehende Gestaltungsfreiheit, die auch im Hinblick auf die personelle und sächliche Ausstattung immer unter dem Vorbehalt des Möglichen stehe und der elterlichen Bestimmung entzogen sei. Eltern und Schüler könnten daher keine bestimmte, ihren Wünschen entsprechende Gestaltung des Schulunterrichts verlangen. Anlass zu gerichtlichem Einschreiten sei erst gegeben, wenn es die Schulverwaltung in Fällen von Unterrichtsausfall unterlasse, zeitnah die erforderlichen Maßnahmen im Rahmen des Möglichen zu ergreifen. Aufgrund des Vortrags des Freistaats hatte das OVG keinen Zweifel, dass die Schulverwaltung alle Anstrengungen unternehme, um den in den Rahmenstundentafeln vorgesehenen Unterricht so weit wie möglich abzudecken. Da eine Französischlehrerin an die Schule befristet abgeordnet sei, könne den Antragstellern und Antragstellerinnen zumindest für den Zeitraum der Abordnung der bilinguale Unterricht wieder erteilt werden. Es sei auch davon auszugehen, dass der in der Rahmenstundentafel vorgesehene Geographieunterricht im 2. Schulhalbjahr 2022/23 abgedeckt werden könne. Der bemängelte Unterrichtsausfall sei im Wesentlichen auf einen in Thüringen (und auch bundesweit) bestehenden erheblichen Lehrermangel zurückzuführen, dem aber nur mittelfristig bis langfristig abgeholfen werden könne. Soweit der bestehende Lehrermangel auf Versäumnisse in der Vergangenheit zurückzuführen sei, ändere dies nichts daran, dass der Antragsgegner glaubhaft gemacht habe, dass die für die Einhaltung der Rahmenstundentafeln benötigten personellen Kapazitäten aktuell nicht vorhanden seien, so das OVG in seiner Begründung. Das zeige allenfalls dringlichen Handlungsbedarf seitens des Freistaats. Der Beschluss ist unanfechtbar. Quelle | Thüringer OVG, Beschluss vom 30.1.2023, 4 EO 614/22, PM 1/23 VerkehrsrechtMedikamentenklausel: Drogenfahrt ist nicht gleich Drogenfahrt| Wird dem Autofahrer eine Drogenfahrt vorgeworfen, handelt er nicht ordnungswidrig, wenn die festgestellte Substanz ausschließlich durch die bestimmungsgemäße Einnahme eines Arzneimittels in das Blut gelangt ist (sog. Medikamentenklausel). Dazu muss sie aber für einen konkreten Krankheitsfall ärztlich verordnet worden sein. Das spielte in einem Fall des Oberlandesgerichts (OLG) Koblenz eine Rolle. |THC und Abbauprodukt von Kokain im Blut Der Autofahrer hatte nachts einen PKW gefahren. Eine Blutprobe ergab Werte von 13 ng/ml THC und 5 ng/ml Benzoylecgonin einem Abbauprodukt von Kokain. Der Fahrer hatte sich beim Amtsgericht (AG) geäußert, das sei ihm bewusst gewesen. Sein behandelnder Arzt habe ihm aber die Einnahme von bis zu 2g THC-haltigen Produkten (Cannabisblüten) verordnet. Das AG hatte jedoch auf einen Beikonsum von Kokain geschlossen und daraus eine sog. nicht bestimmungsgemäße Einnahme des verordneten Medizinalcannabis hergeleitet. Es ist zu dem Ergebnis gelangt, dass hierdurch das Privileg der Medikamentenklausel insgesamt entfalle. Der Betroffene habe damit durch den nachgewiesenen o. g. Wert ordnungswidrig gehandelt. OLG: keine Fahrt in berauschtem Zustand Das hatte beim OLG Koblenz keinen Bestand. Es hob hervor: Ein Drogenkonsument nimmt eine Substanz zu sich, um berauscht zu sein. Ein Patient nimmt sie zu sich, um seine Leiden zu lindern. Bei einer bestimmungsgemäßen Einnahme fährt der Patient gerade nicht in einem berauschten Zustand. Hält sich ein Fahrer an die ärztlichen Vorgaben, begeht er keine Ordnungswidrigkeit. Die Verschreibung muss eindeutig sein und auf einer symptombezogenen Indikation beruhen. Der Fahrer darf das Arzneimittel zudem nicht missbräuchlich oder überdosiert verwenden. Quelle | OLG Koblenz, Beschluss vom 13.4.2022, 3 OWi 31 SsBs 49/22, Abruf-Nr. 229133 unter www.iww.de Verkehrsvergehen: Aufschiebende Wirkung des Widerspruchs bei Entzug der Fahrerlaubnis| Das Verwaltungsgericht (VG) Saarland gewährte einem nicht geeigneten Fahranfänger eine Gnadenfrist. Der junge Fahranfänger konsumierte während der Probezeit sog. weiche Drogen und Alkohol. Zudem kam zu „sportliches“ Fahren hinzu. Er verstieß innerhalb kurzer Zeit oft gegen die Verkehrsregeln. Folge: Die Fahrerlaubnisbehörde verlor zuerst die Übersicht und dann die Geduld wurde aber vom VG „ausgebremst“. | Die Fahrerlaubnisbehörde entzog dem jungen Mann die Fahrerlaubnis, obwohl die Zwei-Monats-Frist des Straßenverkehrsgesetzes (hier: § 2a Abs. 2 S. 1 Nr. 3 StVG) noch nicht abgelaufen war. Sie hatte nämlich fälschlicherweise zur Begründung ihrer Anordnung der sofortigen Fahrerlaubnisentziehung auf eine schwerwiegende Zuwiderhandlung abgestellt, die innerhalb von zwei Monaten begangen wurde (Tattagprinzip). Die wiederholte Nichtbewährung, die eine Maßnahme der dritten Stufe rechtfertigt, liegt aber nur vor, wenn die Zuwiderhandlungen zeitlich nach Ablauf der zweimonatigen Frist zur Teilnahme an einer verkehrspsychologischen Beratung liegen. Dem Fahranfänger soll die Möglichkeit verbleiben, nach der Verwarnung sein Verkehrsverhalten während einer Übergangsfrist ggf. unter freiwilliger Inanspruchnahme verkehrspsychologischer Hilfe zu überdenken und neu auszurichten, bevor er erneut und letztmalig „unter Bewährung“ steht. Das VG ordnete daher die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis an. Später sollte die Begründung für die Entziehung zwar ausgewechselt werden. Hier fehlte es dann allerdings an der Anhörung. Letztlich wird dies dem jungen Mann nicht helfen, denn das VG stellte klar, dass selbst im Anschluss an die nachzuholende Anhörung die Fahreignung nicht gegeben sei dem stehe dessen Rauschmittelneigung entgegen. Quelle | VG Saarland, Beschluss vom 19.8.2022, 5 L 644/22, Abruf-Nr. 233697 unter www.iww.de Rotlichtverstoß: Das kuriose Messfoto| Das Amtsgericht (AG) Dortmund musste jetzt über einen nicht alltäglichen Fall entscheiden. Die „Hauptrolle“ spielte dabei ein Messfoto, das es so gar nicht hätte geben dürfen. | Rotlichtverstoß nach Messende? Ein Autofahrer sollte einen Rotlichtverstoß begangen haben. Das Messfoto wies diesen so aus, dass er am 8.8.22 um 06:42:29 Uhr begangen worden sein sollte. Nach dem in der Hauptverhandlung verlesenen Messprotokoll war der Beginn der fraglichen Messung jedoch am 5.8.22 um 08:53 Uhr und das Ende der Messung lag am 8.8.22 schon um 06:41 Uhr. Damit war nach den vorliegenden Unterlagen das Messfoto zu einem Zeitpunkt erstellt worden, als sich das Messgerät gar nicht mehr im Einsatz befand. Freispruch Das AG sagte daher klipp und klar: Das Messgerät war nicht entsprechend der Bedienungsanleitung eingesetzt worden. Die Messung war nicht plausibel. Entweder war das Messprotokoll fehlerhaft. Oder das Messfoto war falsch oder manipuliert worden. Der Autofahrer konnte sich freuen: Das AG sprach ihn frei. Quelle | AG Dortmund, Urteil vom 15.12.2022, 729 OWi-261 Js 2262/22 -143/22, Abruf-Nr. 233518 unter www.iww.de Verspätetes Handeln: Fahrtenbuchanordnung auch ohne Einblick in die Rohmessdaten?| Wendet sich der Adressat einer Fahrtenbuchanordnung gegen die Verwertbarkeit der Geschwindigkeitsmessung mit einem standardisierten Messverfahren, kann er sich nicht mit Erfolg auf die teilweise Verweigerung des Zugangs zu Rohmessdaten berufen, wenn er nicht seinerseits alles ihm Zumutbare unternommen hat, um diesen Zugang zu erhalten. Das hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) nun entschieden. | Zu schnell gefahren, Fahrer unbekannt, Fahrtenbuchauflage angeordnet Der Kläger, gegen den die Anordnung ergangen war, ein Fahrtenbuch zu führen, begehrte im Nachhinein festzustellen, dass die Anordnung rechtswidrig war. Im Dezember 2018 wurde auf der Bundesautobahn A 8 mit einem mobilen Lasermessgerät des Typs VITRONIC Poliscan FM 1 gemessen, dass mit dem auf den Kläger zugelassenen Pkw die dort zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um 41 km/h (nach Toleranzabzug) überschritten wurde. Der Fahrer des Fahrzeugs konnte nicht festgestellt werden. Daraufhin gab der Beklagte dem Kläger unter Anordnung des Sofortvollzugs auf, für die Dauer von sechs Monaten ein Fahrtenbuch zu führen. Der Kläger kam der Anordnung nach. Antrag des Klägers zu spät? Seine nach erfolglosem Widerspruch erhobene Klage mit dem Antrag, die Rechtswidrigkeit der Anordnung festzustellen, hat er damit begründet, dass die Geschwindigkeitsmessung nicht verwertbar sei, da das Messgerät keine Rohmessdaten speichere. Das Verwaltungsgericht (VG) hat die Klage abgewiesen. Im Berufungsverfahren hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) festgestellt, dass das Messgerät die Rohmessdaten gespeichert hatte. Der Kläger hat daraufhin geltend gemacht, diese Daten würden ihm von der Bußgeldstelle nicht vollständig zur Verfügung gestellt, obwohl das für eine effektive Rechtsverfolgung erforderlich sei. Das OVG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Behörden und Gerichte dürften auch bei der Entscheidung über eine Fahrtenbuchanordnung die Ergebnisse standardisierter Messverfahren zugrunde legen, solange der Betroffene keine substanziierten Einwände gegen die Richtigkeit der Messung erhebe. Recht auf faires Verfahren Um dem Betroffenen die Möglichkeit zu geben, die Richtigkeit der Messung zu überprüfen, gebiete das Recht auf ein faires Verfahren, ihm Zugang zu Rohmessdaten zu gewähren. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) müsse der Betroffene diesen Zugang aber rechtzeitig beantragt haben. Das sei hier nicht geschehen. Der Kläger habe seinen Antrag auf Zugang bei der Bußgeldstelle erst gestellt, als die Geltungsdauer der Fahrtenbuchanordnung bereits abgelaufen gewesen sei. Keine konkreten Anhaltspunkte für einen Messfehler Das BVerwG hat die Revision des Klägers zurückgewiesen. Nach der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) setzt eine Fahrtenbuchanordnung u.a. eine Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften voraus. Mit seinem Einwand, die Geschwindigkeitsmessung sei nicht verwertbar, da ihm nicht auch die Rohmessdaten Dritter zur Überprüfung der Messung zur Verfügung gestellt worden seien, hatte der Kläger keinen Erfolg. Allerdings stand die Annahme des Berufungsgerichts, der Betroffene müsse den Zugang zu solchen Daten vor Ablauf der Geltungsdauer der Fahrtenbuchanordnung beantragt haben, nicht im Einklang mit Bundesrecht. Eine solche zeitliche Grenze lässt sich den maßgeblichen bundesrechtlichen Regelungen nicht entnehmen. Kläger hat sich zu wenig bemüht Doch stellte sich das Berufungsurteil aus anderen Gründen als richtig dar. Konkrete Anhaltspunkte für einen Messfehler hatte der Kläger nicht wie erforderlich gezeigt. Ist bei einer Geschwindigkeitsmessung ein standardisiertes Messverfahren zum Einsatz gekommen, folgt aus dem Recht auf ein faires Verfahren zwar ein Anspruch auch des von einer Fahrtenbuchanordnung Betroffenen auf Zugang zu bei der Bußgeldstelle vorhandenen Daten. Es obliegt jedoch ihm, alle zumutbaren Schritte zu unternehmen, um seinen Zugangsanspruch geltend zu machen und durchzusetzen. Nur, wenn er das getan hat, kann es ein Gebot des fairen Verfahrens sein, ihm nicht die Möglichkeit zu nehmen, auf der Grundlage der begehrten Informationen konkrete Anhaltspunkte für einen Messfehler vorzutragen. Der Kläger hat nicht alles ihm Zumutbare getan, um an die gewünschten Daten zu gelangen. Die Bußgeldstelle hat ihm u.a. die seinen PKW betreffenden Rohmessdaten zur Verfügung gestellt, nicht aber wie beantragt zusätzlich die Rohmessdaten der gesamten Messreihe, also nicht auch die Daten zu anderen Verkehrsteilnehmern und die Statistikdatei. Rechtliche Schritte, um den behaupteten umfassenden Zugangsanspruch gegenüber der Bußgeldstelle durchzusetzen, hat er nicht unternommen. Quelle | BVerwG, Urteil vom 2.2.2023, 3 C 14.21, PM 11/23 Abschließende HinweiseBerechnung der Verzugszinsen| Für die Berechnung der Verzugszinsen ist seit dem 1. Januar 2002 der Basiszinssatz nach § 247 BGB anzuwenden. Seine Höhe wird jeweils zum 1. Januar und 1. Juli eines Jahres neu bestimmt. Er ist an die Stelle des Basiszinssatzes nach dem Diskontsatz-Überleitungsgesetz (DÜG) getreten. | Der Basiszinssatz für die Zeit vom 1. Januar 2023 bis zum 30. Juni 2023 beträgt 1,62 Prozent. Damit ergeben sich folgende Verzugszinsen:
* für Schuldverhältnisse, die vor dem 29.7.2014 entstanden sind: 9,62 Prozent. Nachfolgend ein Überblick zur Berechnung von Verzugszinsen (Basiszinssätze).
Steuern und Beiträge Sozialversicherung: Fälligkeitstermine in 07/2023| Im Monat Juli 2023 sollten Sie insbesondere folgende Fälligkeitstermine beachten: | Steuertermine (Fälligkeit):
Bei einer Scheckzahlung muss der Scheck dem Finanzamt spätestens drei Tage vor dem Fälligkeitstermin vorliegen. Beachten Sie | Die für alle Steuern geltende dreitägige Zahlungsschonfrist bei einer verspäteten Zahlung durch Überweisung endet am 13.07.2023. Es wird an dieser Stelle nochmals darauf hingewiesen, dass diese Zahlungsschonfrist ausdrücklich nicht für Zahlung per Scheck gilt. Beiträge Sozialversicherung (Fälligkeit): Sozialversicherungsbeiträge sind spätestens am drittletzten Bankarbeitstag des laufenden Monats fällig, für den Beitragsmonat Juli 2023 am 27.07.2023. |